Brandspuren – Filmplakate aus dem Salzstock
28.11.19 – 1.3.21
Allgemeine Informationen
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Blätterbuch
Zahlreiche internationale Filmplakate aus den ersten 40 Jahren der Filmgeschichte wurden 1986 in einem Salzbergwerk in Grasleben gefunden, wo das Reichsfilmarchiv der Nationalsozialisten seit dem Krieg lagerte. Wir zeigen erstmals rund zwei Dutzend der aufwendig restaurierten Stücke und erzählen ihre Geschichte.
Die Grubenlampe von Grasleben – kippte sie tatsächlich im Juni 1945 um und war Auslöser für die Zerstörung unzähliger Filmmaterialien? Ausgerechnet in einem Salzstock, wo sie mit anderen Kulturgütern vor den Kriegsfolgen geschützt werden sollten? Oder hatten amerikanische Agenten und Sonderkommandos das Lager schon zwei Monate vorher geräumt und wollten mit dem Feuer ihre Spuren verwischen? Diese Fragen werden sich vermutlich nie beantworten lassen. Was bleibt, sind die historischen Filmplakate, denen die Spuren der Zeit buchstäblich eingebrannt sind. Sie befinden sich mittlerweile in Obhut der Deutschen Kinemathek, während weiteres Material, Unterlagen und Gegenstände noch immer in den Tiefen des Salzbergwerks schlummern.
Wieso und auf welchen Wegen ist das Filmarchiv in den letzten Kriegsmonaten 1944/45 dorthin gekommen und was geschah dort nach Kriegsende? Davon erzählt diese Ausstellung und auch vom Thema Kulturschutz und den mühevollen Anstrengungen, historische Überlieferungen vor dem Vergessen zu bewahren.
Trailer
Genießen Sie einen kleinen Vorgeschmack auf unsere neue Ausstellung.
Themen der Ausstellung
Das Reichsfilmarchiv
Als das Reichsfilmarchiv 1934 gegründet und ein Jahr später in Berlin-Dahlem, dem »deutschen Oxford«, eröffnet wurde, war dies der erste erfolgreiche Versuch, ein zentrales staatliches Filmarchiv in Deutschland zu schaffen. In dem Anfang 1935 veröffentlichten Statut dieser Einrichtung klingt der Sammelzweck noch profan: es ging um »Filme, die aus irgendwelchen Gründen ein besonderes Interesse erwecken«. Doch das nationalsozialistische Interesse an der Filmarchivierung ist vor dem Hintergrund einer weiterreichenden Strategie der politisch aufgeladenen Verewigung eigener bzw. der Abgrenzung von politisch feindlichen Schöpfungen zu sehen.
Film war ein bedeutender Teil im Ensemble der zeitgenössischen Massenmedien, für die ab 1937 sogenannte Reichskulturarchive errichtet werden sollten, von denen lediglich das Reichsfilmarchiv tatsächlich seine Arbeit aufnahm. Das dort gesammelte Material bildete sich kaum systematisch, die Filme durften obendrein nicht öffentlich vorgeführt werden. Während des Zweiten Weltkriegs wuchs der Bestand abermals beträchtlich an, weil erbeutete und beschlagnahmte »Feindfilme« in großer Zahl übernommen wurden. Das Reichsfilmarchiv verwahrte auch in Deutschland nicht zugelassene Filme.
Trotz der nationalpolitischen Aufgabe unterstützte diese von Nationalsozialisten der ersten Stunde geleitete Einrichtung die internationalen Bestrebungen zum Filmaustausch und gehörte 1938 zu den Mitbegründern der noch heute existierenden Féderation Internationale des Archives du Film (FIAF). Ab 1939 wurden weitere Filmlager errichtet, davon das größte in Babelsberg, ein weiteres in Harthausen bei München. Neben verschiedensten Filmen gehörten auch Filmfotos sowie Unterlagen der Filmzensur zur Palette des im Reichsfilmarchiv verwahrten Materials.
Kulturschutz im Krieg
Die Verantwortlichen in Deutschland waren sich der Gefahr einer Zerstörung von Kulturgut durch kriegerische Konflikte bewusst, bevor der Zweite Weltkrieg seinen Anfang nahm. Im zivilen Luftschutz war die Großstadt Braunschweig federführend. Es ging dabei um eine Abwägung zwischen dem Schutz von Menschen und dem Schutz von Material. Nach ersten größeren Bombenangriffen auf Braunschweig ab September 1943 wurden Kunst- und Kulturgüter von dort ins etwa 30 Kilometer entfernte Grasleben gebracht.
Seit 1925 wurde in Grasleben Steinsalz abgebaut. Unter Archiv- und Museumsfachleuten war ab Frühjahr 1943 bekannt, dass sich Salzbergwerke mit ihrer trockenen und warmen Luft als sichere Unterbringungsmöglichkeit für Schriftgut, Grafiken, Keramik eigneten – nicht aber für Gemälde, Holzarbeiten oder Metalle. Als sich ab Sommer 1943 die Luftangriffe der Alliierten auf Berlin erheblich verstärkten, wurde die Verlagerung von Akten an Ausweichstellen forciert. Bibliotheken, Schallarchive, vor allem aber Kunstmuseen begannen, ihre Bestände in westlich der Reichshauptstadt gelegenen Bergwerken unterzubringen.
Neben Museen und Archiven fand auch die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte in Grasleben Unterschlupf und arbeitete dort unter Tage weiter. Die Grasleber Einlieferungslisten des Reichsfilmarchivs sind, anders als die der meisten Museen, nicht erhalten geblieben. Ob sich auch von Deutschen geraubtes Gut darunter befand, bleibt ungewiss. Es lässt sich jedoch nachvollziehen, dass aus einem Zwischenlager im heutigen Polen ab Sommer 1944 per Eisenbahn große Materialmengen nach Grasleben geschickt wurden, darunter Unterlagen der Filmprüfstelle.
Als das Ende des Kriegs sich abzeichnete, hatten mehrere Seiten das Reichsfilmarchiv im Visier. Das Propagandaministerium lehnte ein Schweizer Angebot, Filmmaterialien bis zum Kriegsende treuhänderisch zu verwahren, ab. Das in Grasleben eingelagerte Aktenmaterial sollte durch deutsche Agenten vernichtet werden.
Bergungsarbeiten und Restaurierung
Nachdem das Gebiet des Landes Braunschweig bis zum 23. April 1945 ohne größere Gegenwehr durch US-Truppen besetzt worden war, übernahmen Anfang Juni britische Truppen dort das Kommando. In Grasleben, das wie auch Braunschweig schon am 12. April eingenommen wurde, gab es bereits zwei Tage später eine Inspektion des Bergwerks durch US-amerikanische Truppen. Man hatte das Reichsfilmarchiv im Blick und ließ Teile davon sowie des Reichsschallarchivs abtransportieren. Denkbar ist, dass dies der Materialsicherung für die geplanten Kriegsverbrecherprozesse diente.
Als erster deutscher Experte erhielt der Braunschweigische Landeskonservator Kurt Seeleke in Grasleben Zutritt. Nach einem aus Unachtsamkeit entstandenen Grubenbrand im Juni 1945 sorgte er dafür, dass teilweise aufs Schwerste beschädigte Kunstwerke restauriert wurden. Erst im Rahmen einer Befahrung des Bergwerks durch den Prähistoriker Klaus Goldmann, der zur Verlagerungsgeschichte der Berliner Museen und Sammlungen forschte, konnten Vertreter der Stiftung Deutsche Kinemathek 1986 Umfang und Zustand der verbliebenen Unterlagen des Reichsfilmarchivs bewerten. Sie brachten hochgradig lädiertes Material mit nach Berlin, wobei das Augenmerk zunächst auf etwa 70 brüchigen Filmplakaten lag.
Daneben fanden sich Anträge und Protokolle der Reklamezensur. Diese war, wie die Zensur der Filme selbst, Aufgabe der 1920 in Berlin und München eingerichteten Filmprüfstellen des Deutschen Reiches, die zunächst dem Innenministerium unterstanden. Ab 1933 wurden Film- und Reklamezensur zur Angelegenheit des Propagandaministeriums. In einigen Fällen liegen nun sowohl die Anträge auf Zensur der Reklame wie die Plakate als deren zentrales Medium vor.
Weitere Einfahrten in Grasleben durch die Deutsche Kinemathek folgten 2017 und 2019.
Impressum
Pressereaktionen
»Das Salz in der Suppe des deutschen Films« (Sebastian Bauer, ›BZ‹, 28.11.2019)
»Doch der Titel ist Tiefstapelei. Die Plakate sind nur das direkte Anschauungsmaterial. Eigentlich wird damit viel mehr erzählt: die Geschichte des Reichsfilmarchivs, das von den Nazis gegründet wurde. Und das Ende dieser Schätze in einem Salzstock, wo sie seit Jahrzehnten tief unter der Erde verrotten. (...) Die Geschichte wird hier selbst filmreif, bekommt hier fast einen abenteuerlichen Indiana-Jones-Touch.« (Peter Zander, ›Berliner Morgenpost‹, 28.11.2019)
»An Grasleben jedoch hat sich bisher jeder die Zähne ausgebissen. (...) Erst Mitte der Achtzigerjahre wagte sich der Kinemathekskurator Werner Sudendorf unter Tage und brachte hochgradig lädiertes Material zurück nach Berlin – etwa 70 brüchige, aber noch vollständige Filmplakate, die bis in die Zehnerjahre des Kinos zurückreichten; von der Existenz einiger dieser Filme hatte die Filmwissenschaft nie zuvor gehört. Nun sind sie, vorsichtig restauriert, in einer Ausstellung in der Kinemathek zu sehen.« (Hanns-Georg Rodek, ›Die Welt‹, 28.11.2019)
»Was noch zu retten war, gelangte 1986 in die Obhut der Kinemathek. (...) Ein Stacheldrahtzaun versperrt den Zugang, ein kurzer Film führt an den nur vom Licht der Taschenlampen erhellten Ort einer fatalen Geschichte. Dicker Salzstaub bedeckt abgerissene Papierfetzen, die über den Boden verstreut liegen. (...) Weshalb die Restaurierungsarbeit viel Geschick und Geduld verlangt, erfährt man in der Sonderausstellung des Museums für Film und Fernsehen. (...) Die 24 Filmplakate erzählen die Geschichte der Restaurierung und sind zugleich eine Erinnerung an die deutschen Kinoprogramme der 20er- und 30er-Jahre – abseits von ›Caligari‹.« (Hans-Jörg Rother, ›Märkische Oderzeitung‹, 4.12.2019)
Credits
Künstlerischer Direktor: Rainer Rother
Verwaltungsdirektor: Florian Bolenius
Ausstellungskonzeption: Rolf Aurich, Georg Simbeni
Kuratorische Mitarbeit: Anett Sawall, Alexander Zöller
Projektleitung: Peter Mänz
Projektmanagement: Georg Simbeni
Redaktion: Julia Schell
Übersetzungen: Wendy Wallis, trans ART
Gestaltung Ausstellungsgrafik: Felder KölnBerlin
Ausstellungseinrichtung: jebram-szenografie
Restaurierung: Christin Frischmuth, Werkstatt Claus Schade
Konservatorische Betreuung: Sabina Fernández-Weiß
Digitalisierung: TU Berlin, Architekturmuseum in der Universitätsbibliothek
Reproduktionen: Bartneck Print Artists
Ausstellungsbau und Technik: Frank Köppke, Roberti Siefert
Beleuchtung und AV-Technik: Stephan Werner
Gestaltung Werbegrafik: Pentagram Design
Medien und Schnitt: Heinrich Adolf, Kilian Dorrmann; Boris Seewald, Georg Simbeni
Presse: Heidi Berit Zapke
Marketing: Linda Mann
Website: Julia Pattis, Julia Schell
Bildung und Vermittlung: Jurek Sehrt
Führungen und Workshops: Jörg Becker, Jürgen Dünnwald
Dank
Unser Dank gilt der esco – european salt company GmbH & Co. KG, Heinrich Lohrengel sowie allen Kolleg*innen der Deutschen Kinemathek.
Leihgeber*innen
Archiv der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin
Heinrich Adolf, Hohenschäftlarn
Rolf Aurich, Potsdam
Bundesarchiv, Berlin
Bundesarchiv, Koblenz
Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin
esco – european salt company GmbH & Co. KG, Werk Braunschweig-Lüneburg in Grasleben
Jeanpaul Goergen, Berlin
Gosfilmofond Russlands, Belyje Stolby
Institut für Zeitgeschichte, München
NARA – National Archives and Records Administration, College Park, Maryland
Niedersächsisches Landesarchiv, Wolfenbüttel
Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin
Hans-Rainer Quaas, Gröbenzell
Helga Rathsack, Berlin
Bettina and Dirk Seewald, Bad Kreuznach
Ullstein Bild, Berlin
Hans-Gunter Voigt, Potsdam
Partner
In Kooperation mit:
Bundesarchiv
Medienpartner:
filmdienst
Die Stiftung Deutsche Kinemathek wird gefördert durch
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien
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