Werner-Herzog-Archiv
Allgemeine Informationen
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Kontakt
Connie Betz
Koordination Sammlungen
+49 30 300903-40
cbetz [at] deutsche-kinemathek.de (cbetz[at]deutsche-kinemathek[dot]de)Bitte kontaktieren Sie uns vor Ihrem Besuch, um sich über die Möglichkeit der Einsicht unserer Archivalien zu informieren.
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Website Werner Herzog
Zur offiziellen Website des Regisseurs
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Werner Herzog 360°
Erkunden Sie neben dem Archiv auch unsere virtuelle Ausstellung und lassen Sie sich vom Regisseur persönlich durch die Räume führen.
Ende 2009 übergab Lucki Stipetić, der Bruder des Regisseurs und Geschäftsführer der Werner Herzog Film GmbH, das Produktionsarchiv an die Deutsche Kinemathek. Im Sommer 2012 wurde das Archiv um viele Dokumente erweitert und ergänzt. Es liefert einen Einblick in die Arbeitsweise und in die Produktionsprozesse des Regisseurs, der laut ›Time Magazine‹ zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt gehört.
Neben Werk- und Filmfotos umfasst das Archiv umfangreiche Produktionsunterlagen, Korrespondenzen, Verträge, Drehbücher, Skripte mit Annotationen und auch Requisiten. Presseausschnitte, Plakate, Werbematerialien und Programmhefte zu Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen sowie zu seinen Operninszenierungen und Bühnenstücken ergänzen das Produktionsarchiv. Die frühesten Dokumente stammen aus dem Kontext von Herzogs erstem Langspielfilm ›Lebenszeichen‹ (BRD 1968), die jüngsten aus dem seiner Fernsehreihe ›Death Row‹ (USA 2012). 2022 wurde die Sammlung um rund 100 Fotografien von Lena Herzog ergänzt, die zahlreiche Produktionen der letzten Jahre als Standfotografin begleitete.
Galerie
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Auch Zwerge haben klein angefangen19 Bilder
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Ballade vom kleinen Soldaten11 Bilder
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Cave of Forgotten Dreams13 Bilder
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Cobra Verde21 Bilder
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Death Row14 Bilder
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Die fliegenden Ärzte von Ostafrika4 Bilder
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Die große Ekstase des Bildschnitzers Steiner8 Bilder
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Die Verwandlung der Welt in Musik – Bayreuth vor der Premiere13 Bilder
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Fata Morgana20 Bilder
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Fitzcarraldo29 Bilder
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Gasherbrum – Der leuchtende Berg18 Bilder
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Gesualdo – Tod für fünf Stimmen18 Bilder
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Glaube und Währung6 Bilder
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Glocken aus der Tiefe – Glaube und Aberglaube in Rußland13 Bilder
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Herz aus Glas17 Bilder
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How Much Wood Would a Woodchuck Chuck8 Bilder
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Huie's Predigt10 Bilder
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Into the Abyss10 Bilder
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Invincible16 Bilder
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Jag Mandir – Das exzentrische Privattheater des Maharadjah von Udaipur10 Bilder
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Jeder für sich und Gott gegen alle25 Bilder
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La Bohème8 Bilder
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La Soufrière8 Bilder
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Land des Schweigens und der Dunkelheit11 Bilder
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Lebenszeichen17 Bilder
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Lektionen in Finsternis10 Bilder
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Letzte Worte2 Bilder
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Little Dieter Needs to Fly / Flucht aus Laos (Höllenfahrten, 1. Folge)17 Bilder
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Mein liebster Feind19 Bilder
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Mit mir will keiner spielen12 Bilder
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Neue Welten – Gott und die Beladenen (2000 Jahre Christentum, 9. Folge)4 Bilder
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Nosferatu – Phantom der Nacht24 Bilder
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Queen of the Desert21 Bilder
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Rescue Dawn11 Bilder
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Schrei aus Stein18 Bilder
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Stroszek23 Bilder
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The White Diamond11 Bilder
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The Wild Blue Yonder7 Bilder
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Wheel of Time18 Bilder
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Wings of Hope / Julianes Sturz in den Dschungel16 Bilder
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Wo die grünen Ameisen träumen19 Bilder
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Wodaabe – Die Hirten der Sonne7 Bilder
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Woyzeck22 Bilder
Von Sachen, die an die Öffentlichkeit gehören
Fundstücke des Archivs
Das Werner Herzog Archiv bei der Übergabe an die Deutsche Kinemathek
von Anke Vetter
Werner Herzog und Laurens Straub sitzen nebeneinander. Vor ihnen auf einem niedrigen Holztisch stehen Tassen mit Kaffee, hinter ihnen an der Wand hängen das Foto eines Neugeborenen, das sich mit Händen und Füßen an eine dünne Leine klammert, ein Jahreskalender von 1977, zur Hälfte beschrieben, darüber eine Weltkarte und daneben ein Foto von Herzogs engsten Mitarbeitern bei den Dreharbeiten zu ›Aguirre, der Zorn Gottes‹ (BRD 1972). Straub, im lachsfarbenen, kunstseidenen Blouson, wendet sich Herzog zu. Auf der Sessellehne liegt ein aufgeschlagenes Notizbuch und ein Päckchen Roth-Händle. »Ich tue jetzt meine Pflicht als Interviewer und frage dich zum zweiten Mal«, bohrt Straub sanft. »Du willst uns wirklich nicht erzählen, was du für Geheimnisse hast? [...] Ich sitze hier und habe keine Geheimnisse, ich verberge nichts, und du sitzt hier und verbirgst irgendetwas.« Werner Herzog ist ganz in Schwarz gekleidet, er spricht langsam und nasal, seine Augen mit den schweren Lidern sind auf seine Hände gesenkt. Er richtet sich leicht auf: »Wenn man die Filme schaut, sind immer die Hosen runtergelassen, [...] es könnten auch anonyme Sachen sein, die ich gemacht hab’, und trotzdem wüsste man, wenn man die Filme sieht, über mich ziemlich genau Bescheid. Das ist vollständig, was ich bin, das sind die Filme!«
Was ich bin, sind meine Filme
Werner Herzog bei den Dreharbeiten zu ›Die Ballade vom kleinen Soldaten‹, BRD 1948
© Werner Herzog Film / Deutsche Kinemathek
Die Episode aus dem Filmporträt über Werner Herzog, das diesen markanten Satz ›Was ich bin, sind meine Filme‹ (1976–1978) als Titel hat, kommt einem in den Sinn, wenn man die Materialien des Werner Herzog Archivs betrachtet. Mehr als 40 Jahre Filmschaffen lagern in 43 Archivkartons, die gefüllt sind mit Werk- und Filmfotos, Dias, Negativen und Kontaktabzügen, mit Drehbüchern und Skripten, mit Produktionsunterlagen, mit Verträgen und Ordnern voller Presseausschnitte, mit Werbematerialien und Programmen zu nahezu allen Spielfilmen, Dokumentar- und Kurzfilmen, Operninszenierungen und Bühnenstücken. Dazu gibt es Plakate und Landkarten sowie einige Requisiten. Auffällig selten sind private Materialien in dem Archiv. Tagebücher mit Bekenntnissen, Korrespondenzen mit Freunden, Notizzettel etwa mit seiner leichten, kleinen, aufrechten Handschrift, die Auskunft über die schrittweise Entwicklung einer Filmidee oder gar Einblick in den Menschen hinter seinen Filmen geben könnten, finden sich nicht. 
Angelegt wurde dieses Archiv hauptsächlich von Herzogs jüngerem Bruder, Lucki Stipetić, der seit den frühen 1970er-Jahren eng an der Seite seines Bruders arbeitet, als Produzent, Produktionsleiter und Berater. Er ist Geschäftsführer der 1963 gegründeten Werner Herzog Filmproduktion. Zwischen der Deutschen Kinemathek und Lucki Stipetić bestehen bereits seit längerer Zeit enge Beziehungen, spätestens seit den Vorbereitungen zur Sonderausstellung im Jahr 2002, in der das Gesamtwerk Werner Herzogs zu seinem 60. Geburtstag gewürdigt wurde. In der ständigen Ausstellung der Deutschen Kinemathek nimmt das Werk des Filmemachers schon jetzt eine herausgehobene Stellung ein. Im Januar 2009 kam das vier Meter lange und 375 Kilo schwere Modell der »Molly Aida« aus dem Film ›Fitzcarraldo‹ (BRD 1982) ins Museum. Das Exponat wird jetzt ergänzt durch eine Reihe von Archivalien, bestehend aus Fotografien und schriftlichen Dokumenten zum künstlerischen Werk Werner Herzogs.

Filmschaffen in Archivkartons
Werner Herzog und Thomas Mauch bei den Dreharbeiten zu ›Lebenszeichen‹
© Werner Herzog Film / Deutsche Kinemathek
Bei der ersten Sichtung des Archivs fällt bereits die ungleichmäßige Verteilung der Materialien über den Gesamtzeitraum von Herzogs Schaffen auf. Chronologisch betrachtet, beginnt das Archiv mit seinem ersten langen und mehrfach preisgekrönten Spielfilm ›Lebenszeichen‹ (BRD 1967/1968). Zu weiteren frühen Filmen wie ›Herakles‹ (BRD 1961/1962), ›Spiel im Sand‹ (BRD 1964), ›Die beispiellose Verteidigung der Festung Deutschkreutz‹ (BRD 1966) und ›Letzte Worte‹ (BRD 1967/1968) finden sich jedoch relativ wenige Informationen. Ebenso spärlich sind seine späten Arbeiten, beispielsweise ›My Son, My Son, What Have Ye Done‹ (USA/D 2009), ›Bad Lieutenant‹ (USA 1992/2008) und ›Rescue Dawn‹ (USA 2006) dokumentiert. Woran liegt das? Zum einen schlägt sich bei letzteren offenkundig nieder, dass diese Filme keine Eigenproduktionen mehr sind; Herzog inszenierte seine jüngsten Filme in den USA und für dortige Produzenten, so dass vermutlich schon aufgrund der räumlichen Distanz weniger Unterlagen Eingang in das Archiv fanden. Zum anderen kann im Zusammenhang mit seinen frühen Filmen angenommen werden, dass durch Herzogs spontane Arbeitsweise, die häufig auf Situationen am Drehort reagiert, keine oder nur wenige Materialien entstanden sind. Gewiss ist auch, dass viele Entscheidungen darüber, was aufbewahrt und erhalten werden soll, durch den Künstler selbst getroffen wurden und er manchmal unbeabsichtigt, manchmal beabsichtigt– in jedem Fall aber wesentlich – die Zusammensetzung des Archivbestandes beeinflusst hat. Es ist bekannt, dass Herzog seinen 14-minütigen Kurzfilm ›Spiel im Sand‹ (BRD 1964) zu seinen Lebzeiten niemandem zeigen wird. Der Film ist eines seiner Geheimnisse.


»Es gibt also eine bestimmte Art von elementaren Dingen, die von dir verteidigt werden?«, fragt Straub hartnäckig weiter. »Richtig!«, bestätigt Herzog, »anders ging das Leben gar nicht. Es gibt eine ganze Reihe von Sachen, die unabdingbar zu verteidigen sind und die auch nicht an die Öffentlichkeit gehören.« Diese zitierte Passage wurde aus dem Filmporträt ›Was ich bin, sind meine Filme‹ von 1978 herausgeschnitten. Nachzulesen ist sie jedoch in einem ungekürzten 74-seitigen Transkript des Interviews, einem besonders aufschlussreichen »Fundstück« des Archivs. Zudem ist dieses Dokument ein materieller Verknüpfungspunkt von Werner Herzogs und Laurens Straubs Biografien, es lässt unsere Vorstellung von der Filmgeschichte dichter erscheinen.

Verknüpfungen zu anderen Archiven
Lotte Eisner und Werner Herzog bei den Dreharbeiten zu ›Nosferatu‹ in Delft
© Werner Herzog Film / Deutsche Kinemathek
Im Heft 5/2009 der Zeitschrift ›Recherche Film und Fernsehen‹ schrieb Michael Töteberg über den Kinoliebhaber, Querdenker und Produzenten Laurens Straub. Er war als Gründungsmitglied und Geschäftsführer des Filmverlags der Autoren auf beruflicher Ebene eng mit Werner Herzog verbunden. Der Filmverlag der Autoren koproduzierte die Filme ›Jeder für sich und Gott gegen alle – Kaspar Hauser‹ (BRD 1974) sowie ›Fitzcarraldo‹ (PE/BRD 1982) und übernahm den Verleih von ›Aguirre‹ und ›Wo die grünen Ameisen träumen‹ (BRD/AT 1984). Zudem führte Straub als profunder Kenner der Arbeiten Herzogs zahlreiche Interviews mit dem Filmemacher, die als Audiokommentare den später veröffentlichten DVDs beigefügt sind. Den Nachlass Laurens Straubs erhielt die Deutsche Kinemathek kurz nach dessen Tod im Jahr 2007.

Einen solchen Verknüpfungspunkt gibt es auch zwischen Werner Herzog und der Filmhistorikerin Lotte Eisner. 2008 wurde im Heft 3 von Recherche Film und Fernsehen das Faksimile eines Briefes von Lotte Eisner an Fritz Lang abgedruckt, der sich im Archivbestand der Deutschen Kinemathek befindet. Eisner schreibt Anfang Juni 1968, wenige Tage vor Beginn der 18. Berlinale: »In Cannes hatten Godard, Truffaut und Louis Malle, Lelouche recht, den Tempel auszuräuchern. Die Festivals werden immer widerwärtiger. Leider muss ich auf ein paar Tage nach Berlin, wenn das nicht auffliegt. Das Festival meine ich.« Auf besagter Berlinale präsentierte der 25-jährige Herzog seinen Spielfilm ›Lebenszeichen‹ und wurde dafür mit dem Silbernen Bären für den Besten Erstlingsfilm ausgezeichnet. Herzog räucherte auf seine Weise den Berliner »Festival-Tempel« aus. Er mietete während der Berlinale das damalige Rollkrug-Kino in Berlins einstigem Arbeiterbezirk Neukölln, zeigte dort kostenlos Festivalbeiträge und diskutierte diese mit den Zuschauern.
Werner Herzog hatte zu Lotte Eisner ein besonders intensives Verhältnis. Im Winter 1974 pilgerte er zu Fuß von München nach Paris, um die schwerkranke Lotte Eisner vom Sterben abzuhalten. Die Tagebücher, die er auf dieser Wanderung geschrieben hat, veröffentlichte Herzog in dem kleinen Band ›Vom Gehen im Eis‹. Spuren dieses Verhältnisses finden sich in dem Archiv in Form des Skripts der Laudatio, die Werner Herzog 1982 anlässlich der Verleihung des Helmut-Käutner-Preises auf Lotte Eisner gehalten hat, sowie in einer Reihe privat anmutender Fotografien. Einige davon sind entstanden, als Lotte Eisner die Dreharbeiten zu ›Nosferatu – Phantom der Nacht‹ (BRD/FR 1979) in Delft und am Strand von Oostvorne in den Niederlanden besuchte. Gegen die Kälte eingewickelt in einen Kokon aus dicken Decken und Tüchern, ist wie bei einer Matrjoschka nur noch das Gesicht der offensichtlich amüsierten Lotte Eisner zu erkennen. Ein anderes Foto zeigt sie bei einem Spaziergang am Strand, ihr zur Seite Werner Herzog selbst. Eisners zarte Figur ist gebeugt und stemmt sich gegen den starken Wind.
Die Uhr des Grafen Dracula
Wanduhr, Requisit aus ›Nosferatu‹
Foto: Subuddha Kellner, © Werner Herzog Film / Deutsche Kinemathek
Neben den genannten Drehorten in den Niederlanden reiste das relativ kleine Team von ›Nosferatu‹ im Jahr 1978 auch nach Lübeck, Bayern und in die ÄŒSSR. Anhand der überlieferten Unterlagen, der Cutterreporte, der Ton/Bild-Negativ- sowie der Tagesberichte, des Drehplans, des Drehbuchs und der zahlreichen Fotos lässt sich der Produktionsablauf minutiös nachvollziehen. 
Ein sehr interessantes Objekt, das mit diesem Archiv in die Kinemathek kam, ist die Uhr aus dem Schloss des Grafen Dracula aus folgender Szene: Kurz vor Mitternacht erreicht Jonathan Harker, dargestellt von dem jungen Bruno Ganz, das Schloß des Untoten. Während Harker an einer üppigen Tafel sein Nachtmahl einnimmt, geht das eintönige Ticken der Wanduhr im Rasseln ihrer Mechanik unter. Auf der Uhr hebt sich die Kalotte eines Schädels, und aus ihm erscheint, wie aus einem Grab, der Tod als Gerippe, mit einem Hammer auf ein hellklingendes Metall schlagend. Beim vierten Schlag öffnen sich zwei kleine schmale Türen im Uhrkasten, aus einer tritt der Tod als Sensenmann und bewegt leicht die Sense. Beim zwölften Schlag ist er in der anderen Tür verschwunden, die Kalotte klappt zu, eine kleine Staubwolke steht in der Luft, und die Fledermaus, die sich an einer Zierleiste festhält, wackelt. Dieses mechanische Requisit ist von Cornelius Siegel gebaut und von Henning von Gierke mit Details versehen worden. Auf der Berlinale 1979 erhielt ›Nosferatu‹ einen Silbernen Bären für die herausragende Ausstattung, eine Auszeichnung für die künstlerische Leistung, an der auch der Verantwortliche für Spezialeffekte, Cornelius Siegel, seinen Anteil hat. Es ist möglich, dass sich die beiden Künstler bei den Dreharbeiten in der ÄŒSSR von der Astronomischen Turmuhr des Prager Altstädter Rathauses inspirieren ließen, die als Meisterwerk der Gotik gilt. Anstelle des Todes treten dort die 12 Apostel in die geöffneten Türen, und der Tod in Gestalt eines Skeletts bewegt ein Stundenglas.
Mit Cornelius Siegel und Henning von Gierke arbeitete Herzog in mehreren Filmen zusammen, darunter in ›Herz aus Glas‹ (BRD 1976) und ›Stroszek‹ (BRD 1977).
Das Buch aus dem Urwald
Seite aus dem Drehbuch zu ›Fitzcarraldo‹
© Werner Herzog Film / Deutsche Kinemathek
Henning von Gierke begleitete Herzog auch bei ›Fitzcarraldo‹, seinem vierten Film mit Klaus Kinski. Zu diesem Film, der mit drei Jahren eine verhältnismäßig lange Vorbereitungszeit aufweist, enthält das Werner Herzog Archiv das umfangreichste Material. Es besteht unter anderem aus zahlreichen Dias, Werk- und Filmfotos und Drehbüchern. Eines der Drehbücher ist aufgrund deutlicher Gebrauchsspuren, handschriftliche Anmerkungen Herzogs und Geländeskizzen als das am Drehort benutzte zu erkennen. Die Oberfläche des Buchdeckels ist abgegriffen, fleckig und geknickt, die Ecken sind rundgeschliffen, und einige Seiten wurden mit schmutzigen Fingern umgeblättert. Die inzwischen rotbraun nachgedunkelten Flecken auf dem Frontdeckel rufen den Unfall des Kameramannes Thomas Mauch in Erinnerung, der sich stark verletzte, als die »Molly Aida« mit Wucht auf Grund lief. Die Seite 69 des Buches wurde zugeschlagen, als ein Schwarm kleiner Fliegen auf ihr saß. Deren trockene, flache Hüllen lassen noch jetzt erahnen, wie lästig sie waren. Das Drehbuch in seiner optischen, taktilen und nicht zuletzt olfaktorischen Erscheinung führt uns direkt zur Entstehung des Films in den südamerikanischen Urwald.
Die Arbeiten in den Münchner Bavaria Studios dagegen illustrieren einige nüchterne Lichtpausen technischer Zeichnungen des Szenenbildners und Filmausstatters Rolf Zehetbauer zum Bau eines Wasserbassins und des Modellschiffs der »Molly Aida«, das durch Henning von Gierke für eine einzige kurze Tricksequenz realisiert wurde und jetzt in der Ständigen Ausstellung der Deutschen Kinemathek zu sehen ist.
Requisiten und Kostüme
Gemälde, kolorierte Fotografie: Claudia Cardinale und Klaus Kinski, Requisit aus ›Fitzcarraldo‹
Foto: Subuddha Kellner, © Werner Herzog Film / Deutsche Kinemathek
Unter den Materialien zur Produktion von ›Fitzcarraldo‹ findet sich außerdem das zweite Requisit des Archivs, das, so Werner Herzog, ihm als Erinnerung an diesen Film besonders am Herzen liegt. Es ist eine von einem peruanischen Maler angefertigte feinmalerisch kolorierte Fotografie, die die Bordellbesitzerin Molly und den irischen Opernliebhaber Brian Sweeney Fitzgerald zeigt (Abb. 3). Im Film ist dieses Gemälde ein Geschenk, das Fitzcarraldo seiner Freundin nach einem langen und leidenschaftlichen Kuss macht. Kinski in der Titelrolle trägt darauf einen hellen Leinenanzug, seinen breitkrempigen Hut hält er auf den Knien, neben ihm sitzt Claudia Cardinale in der Rolle der Molly, in einem hochgeschlossenen Kleid, auf dem Kopf einen mit Federn und Schleifen geschmückten Hut. Die Kostüme für diesen Film schuf Gisela Storch-Pestalozza. Die Künstlerin gehörte neben Thomas Mauch und Henning von Gierke zu Herzogs engem Mitarbeiter*innenkreis. Sie zeichnete bis auf den Film ›Aguirre‹ für die Kostüme aller Herzog-Kinski-Produktionen und auch für die Kostüme in ›Kaspar Hauser‹ und ›Herz aus Glas‹ verantwortlich.
Ein weiterer renommierter Regisseur des Jungen Deutschen Films war an ›Fitzcarraldo‹ beteiligt: Werner Schroeter. Schroeter, der auch für seine opulenten Theater- und Operninszenierungen bekannt ist, gestaltete die kurze Opernszene des Films. Die Deutsche Kinemathek bewahrt in ihren Archiven neben textilen Arbeiten der Kostümbildnerin Gisela Storch-Pestalozza auch eine Sammlung von Werner Schroeter auf.
Briefe und Verträge
Brief des Flohzirkus-Direktors Ludwig Neudörfer an Werner Herzog
© Werner Herzog Film / Deutsche Kinemathek
Die Unterlagen zu ›Fitzcarraldo‹ enthalten zum Beispiel auch schriftliche Vereinbarungen und Verträge mit Schauspieler*innen, unter anderem mit Claudia Cardinale und Klaus Kinski. Unter den schriftlichen Vereinbarungen mit Klaus Kinski findet sich ein skurriles Dokument, eine von beiden Parteien unterschriebene Zusatzvereinbarung zum Vertrag mit sechs Forderungen des Schauspielers. Darin heißt es unter Punkt 3: »Es dürfen sich keine Hähne im Camp in Camisea befinden.« Es ist möglich, dass es sich hier um die Prävention gegen eine vermeintliche Hühnerallergie Kinskis handelt, vielleicht angereichert um einen sarkastischen Scherz, der auf Herzogs obsessiven Einsatz von Hühnern und Hähnen in seinen Filmen anspielt, beispielsweise in ›Spiel im Sand‹, ›Lebenszeichen‹, ›Kaspar Hauser‹, ›Stroszek‹ oder in ›The White Diamond‹ (D/JA/UK 2004). Im Film ›Auch Zwerge haben klein angefangen‹ (BRD 1967/1970) spielen neben fleischfressenden Hühnern ein ferkelsäugendes Schwein, ein gekreuzigter Affe, ein kniendes Kamel und verschiedene Insekten eine Rolle. Im Dossier zu diesem Film fällt ein Schriftstück ins Auge: Ein Brief eines Flohzirkus-Direktors, der mit einem auffälligen Briefkopf wirbt, er sei »bekannt vom Fernsehsender Stuttgart mit seinen einmaligen Dressurleistungen«. »Auf Ihr Schreiben vom 4.6.69 teile ich Ihnen mit, 20 Jahre habe ich einen Floh-Zirkus betrieben. Dieses Jahr habe ich mein Geschäft eingestellt und mich zur Ruhe gesetzt. Nun zur Sache. Meine Flöhe wurden nicht eingekleidet, ich verstehe nicht[,] wie Sie sich das vorstellen. Ein Teil meiner Flöhe«, setzt der Absender diesem scheinbar absurden Brief noch ironisch hinzu, »hatten als Dekoration zur Schönheit bunte Schirme getragen[,] wie die Skizze zeigt. Hochachtungsvoll Ludwig Neudörfer«. Der Filmbezug dieses Dokuments ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich, gehört aber sehr wahrscheinlich zu dieser Szene: Eine Gruppe revoltierender Kleinwüchsiger sitzt auf dem kargen Hof einer Erziehungsanstalt zusammen. In ihrer Mitte löst eine der Insassinnen einen Einweckgummi von einer Zigarrenschachtel, in der sich auf Stecknadeln gespießte tote Insekten befinden. Begleitet von den Kommentaren der Mitinsassinnen nimmt sie eine Grille in einem Frack heraus, eine Libelle mit Tüllschleier und Rock und einen Käfer mit einem Zylinder auf seinem Rücken.
Der Zusammenhang zwischen der Szene und dem Brief erklärt sich, wenn Werner Herzog rückblickend auf diese Produktion von der Schwierigkeit berichtet, einen Schneider zu finden, der so kleine Kostüme anfertigen konnte. Es ist zu vermuten, dass auch der Zirkusdirektor Ludwig Neudörfer angeschrieben wurde, um bei der Realisierung der Kostümierung des »Brautpaars« und ihrer »Hochzeitsgäste« zu helfen. Oder hat Werner Herzog den Brief des empörten Flohzirkus-Direktors etwa selbst verfasst?
Nicht nur zur Produktionsgeschichte wie im Fall des Films ›Auch Zwerge haben klein angefangen‹, sondern auch zur Rezeption von Herzogs Filmen bietet das Archiv umfangreiches Quellenmaterial. So existiert ein Fundus an deutschen und internationalen Presseausschnitten, der zum großen Teil von Werner Herzogs Mutter angelegt wurde.
Das Werner Herzog Archiv gewährt nicht allein ungewöhnliche Einblicke in die Arbeitsweise eines der bedeutendsten deutschen Regisseure, sie bietet darüber hinaus – insbesondere mit ihren Querverbindungen zu anderen Sammlungen, sei es das Archiv Werner Schroeter, die Sammlung textiler Arbeiten Gisela Storch-Pestalozzas oder der Nachlass von Laurens Straub – eine wertvolle Bereicherung der Quellen für die Forschung zum Jungen Deutschen Film in der Deutschen Kinemathek.

Erstmals veröffentlicht in: Recherche Film und Fernsehen, Heft 7+8, Berlin 2010, S. 72–76
Biografie
Werner Herzog, Werbefoto zu ›Grizzly Man‹, USA 2005
© Werner Herzog Film / Deutsche Kinemathek
Kurzbiografie
Werner Herzog wurde am 5. September 1942 in München geboren. Zusammen mit seinen beiden Brüdern und seiner Mutter lebte er nahe der österreichischen Grenze in dem bayerischen Dorf Sachrang. In den 1950er-Jahren zog die Familie nach München. Dort kam es zu einer ersten kurzen Begegnung Herzogs mit dem Schauspieler Klaus Kinski, der später mehrfach Hauptrollen in bedeutenden Filmen des Regisseurs spielen sollte. Nach dem Abitur und einem kurzzeitigen Studium der Germanistik, Geschichte und Theaterwissenschaft realisierte Werner Herzog als Autodidakt erste Kurzfilme. 1963 gründete er eine Filmproduktionsfirma. Für seinen ersten Spielfilm ›Lebenszeichen‹ (BRD 1968) erhielt Herzog 1968 den Deutschen Filmpreis sowie den Silbernen Bären (Sonderpreis) der Internationalen Filmfestspiele Berlin.
Filme wie ›Aguirre, der Zorn Gottes‹ (BRD 1972) begründeten Herzogs Ruf als Autorenfilmer und waren auch international erfolgreich. ›Aguirre‹ war zudem der erste von fünf Filmen, die Werner Herzog mit Klaus Kinski drehte; Schlagzeilen machte aber vor allem das ehrgeizige Projekt ›Fitzcarraldo‹ (1982), unter anderem wegen der schwierigen Drehbedingungen in Südamerika. Herzog drehte auch zahlreiche Dokumentarfilme; seit 1986 ist er zudem als Opernregisseur tätig.
2008 wurde sein Dokumentarfilm ›Encounters at the End of the World‹ (USA 2007) für den Academy Award nominiert. Seine beiden Filme ›Bad Lieutenant: Port of Call New Orleans‹ (USA 2008) und ›My Son, My Son, What Have Ye Done‹ (USA/D 2009) waren 2009 auf dem Filmfestival in Venedig zu sehen. 2010 war Herzog Jury-Präsident der Internationalen Filmfestspiele Berlin. In der Sonderreihe Berlinale Special stellte er 2012 seinen vierteiligen Dokumentarfilm ›Death Row‹ (USA 2012) vor. Werner Herzog lebt in Los Angeles und München.
Bestandsübersicht
Bestandsübersicht
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Bestandsliste
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Editorische Notiz
Seit 2009 befindet sich das Werner Herzog Archiv in der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen. Der Anteil an Fotografien besteht aus mehr als 16.000 Negativen, Dias und Abzügen zu Filmen aller Schaffensperioden – von Herzogs erstem Spielfilm ›Lebenszeichen‹ (BRD 1968) bis zu dem Fernseh-Vierteiler ›Death Row‹ (USA 2012). Zahlreiche dieser Bilder sind bislang unveröffentlicht.
Im Rahmen der Archivierung wurde ein Großteil der Aufnahmen digitalisiert und verschlagwortet; eine Auswahl ist in der Fotogalerie publiziert. Überwiegend handelt es sich hierbei um Fotos zu Filmen, an deren Entstehung die Werner Herzog Filmproduktion beteiligt war.
Einige der Filme – zum Beispiel ›Neue Welten – Gott und die Beladenen‹ (D 2000) – sind in dem Archiv nur mit wenigen Fotos vertreten, andere – darunter ›Fitzcarraldo‹ (BRD 1982) – mit mehreren hundert. In manchen Fällen, beispielsweise ›Woyzeck‹ (BRD 1979), sind überwiegend Szenenfotos überliefert, in anderen – darunter ›Auch Zwerge haben klein angefangen‹ (BRD 1970) – nahezu ausschließlich Werkfotos. Somit spiegelt sich die Heterogenität des Materials auch in der Auswahl wider, welche die nach unserer Meinung aussagekräftigsten oder überraschendsten Fotos enthält.
Redaktionelle Anmerkungen
Die Fotografien sind in drei Kategorien unterteilt: Szenenfotos, Rollenporträts, Werkfotos.
Szenenfotos
stellen eine Szene aus dem Film dar und dokumentieren in der Regel die Kameraposition, Raum- und Lichtkomposition sowie – im Falle eines Spielfilms – die Leistung des Schauspielers.
Rollenporträts
Hierbei handelt es sich um inszenierte Porträts von einer oder mehreren Figuren aus dem Film. Im Unterschied zum Szenenfoto wird keine Handlung aus dem Film nachgestellt, häufig ist der Blick der Porträtierten in die Kamera gerichtet.
Werkfotos
geben einen Aspekt der Dreharbeiten wieder und zeigen den filmischen Produktionsprozess, die verwendete Technik, den Umgang des Regisseurs mit den Schauspielern und der Mitglieder des Filmteams untereinander. Ein Werkfoto hat dokumentarischen Charakter, kann in seltenen Fällen aber auch inszeniert sein.
Bildlegenden
In den Bildlegenden werden die abgebildeten Personen benannt, soweit sie bekannt sind. Die Nennung erfolgt in der Regel von links nach rechts und von oben nach unten. Bei Aufnahmen mit fiktionalem Charakter wie Szenenfotos und Rollenporträts ist in Klammern zusätzlich der Rollenname oder die Rollenbezeichnung angegeben. Die Anordnung der Fotos folgt nach Möglichkeit lose der Abfolge der Filmhandlung.
Die Fotos in dem Werner Herzog Archiv wurden von professionellen Standfotografen wie Beat Presser oder Lena Herzog und von Mitgliedern des Filmteams aufgenommen. Im Einzelnen ließ sich die Autorenschaft in vielen Fällen nicht zweifelsfrei feststellen. Sofern für eine Filmproduktion ein offizieller Standfotograf bekannt ist, wird sein Name in den filmografischen Daten genannt, nicht aber den einzelnen Fotos zugeordnet. Die Rechte an den Bildern liegen bei der Werner Herzog Filmproduktion.
Quellen
Die filmografischen Angaben basieren auf der Filmografie von Chris Wahl in ›Lektionen in Herzog‹ (München 2011) und wurden durch Angaben aus ›Herzog on Herzog‹ (hg. v. Paul Cronin, London 2002), ›Segni di vita‹ (Grazia Paganelli, Turin/Mailand 2008), CineGraph, filmportal.de, wernerherzog.com und den Angaben im Abspann der Filme ergänzt.
Bearbeitung der Bilder
Auf eine Korrektur der Tonwerte wurde verzichtet; entsprechend können einige der Bilder farbstichig oder blass wirken. Fotos altern je nach Material und Lagerung ganz unterschiedlich. Korrekturen von Kontrast und Farbe sind immer ein Eingriff in die Ästhetik und somit eine Interpretation, die wir an dieser Stelle nicht vornehmen möchten.
Impressum
Projektleitung: Julia Pattis, Werner Sudendorf
Erschließung und Verzeichnung: Sandra Schieke, Anke Vetter
Digitalisierung: Iris Janke, Magdalene Loda
Bildauswahl Galerien: Julia Pattis, Sandra Schieke, Werner Sudendorf
Inhaltliche Beratung: Kristina Jaspers, Chris Wahl
Facharchivarische Beratung: Julia Riedel
Dank
Wir bedanken uns bei Werner Herzog und der Werner Herzog Filmproduktion, die uns das Archiv anvertraut haben, insbesondere bei Lucki Stipetić, der uns bei der Umsetzung des Projekts und besonders bei der Identifizierung von Teammitgliedern auf einzelnen Aufnahmen unterstützt hat. Zudem gilt unser Dank Chris Wahl, der uns inhaltlich mit Rat und Tat zur Seite stand und uns seine Arbeitsunterlagen zu Werner Herzog zur Verfügung stellte.
Copyright
Alle im Rahmen der Online-Präsentation veröffentlichten Inhalte und Fotografien sind urheberrechtlich geschützt und dürfen von Dritten nur mit schriftlicher Genehmigung weiterverwendet werden.
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