Spaß beiseite? Sich über den eigenen Staat lustig machen

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Satire gibt es auch in Diktaturen. Dort zielt sie in der Regel auf Gegner des Herrschaftssystems. Nur in einer Demokratie ist es möglich, sich über die Regierenden und den eigenen Staat öffentlich lustig zu machen. Da aber keine Demokratie perfekt ist und Freiheit immer wieder verteidigt werden muss, ist Satire auch hier Angriffen und Hindernissen ausgesetzt. In der jungen Bundesrepublik war dies auch ein Anhaltspunkt dafür, wie gut diese Demokratie funktionierte, die nicht von ihren Bürger*innen erkämpft, sondern ihnen von den alliierten Siegermächten geschenkt worden war.

Beschränkungen von Satire hat es in der bundesdeutschen Fernsehgeschichte vor allem bei Sendungen gegeben, die auf aktuelle Ereignisse und Vorgänge zielten. In Erinnerung geblieben ist etwa die Entscheidung des ZDF, Dieter Hildebrandts Serie ›Notizen aus der Provinz‹ – wohl mit Rücksicht auf die Bundestagswahl 1980 – nicht fortzuführen, oder jene Ausgabe von Hildebrandts Nachfolgereihe ›Scheibenwischer‹, bei der sich der BR 1986 aus dem ARD-Gemeinschaftsprogramm ausschaltete.

Weitgehend in Vergessenheit geraten ist der Fall der Satireserie ›Hallo Nachbarn! – Televisionen eines Untertanen‹, deren Ausgabe vom 29. Dezember 1965 vom produzierenden NDR kurzfristig abgesetzt wurde. Die 1963 gestartete Sendereihe, die bereits zuvor immer wieder heftig angegriffen worden war, wurde erst nach einigen Monaten in veränderter Form weitergeführt und bald darauf eingestellt.

Anders als Kabarettsendungen können Fernsehfilme und fiktionale Serien oft bereits im Laufe ihrer langen Produktionszeit »entschärft« werden. Da sie sich meist weniger stark auf aktuelle Ereignisse und Personen beziehen, ist ihre Kritik häufig zeitloser. So funktioniert der Spott über die Eitelkeit der Wohlstandsgesellschaft in Rainer Erlers ›Orden für die Wunderkinder‹ bis heute: Ein alternder Heiratsschwindler entdeckt eine neue Betrugsmasche, indem er sich als Oberregierungsrat ausgibt, der Verdienstorden verleiht und dafür eine Gebühr kassiert. Zugute kommt ihm bei seiner Gaunerei ein kafkaesker Verwaltungsapparat, der folglich ebenso Zielscheibe des mit Stilisierungen arbeitenden Films ist wie eitle Honoratior*innen. Mit Erlers 1963 entstandenem Frühwerk eröffnet das diesjährige Satire-Programm von »Aus dem Fernseharchiv«.

In der Bürowelt der Privatwirtschaft spielt ›Der Versager‹, ein Film, den Eberhard Fechner 1969 inszenierte: Als ein kleiner Versicherungsangestellter mittleren Alters den Rationalisierungsmaßnahmen des neuen Geschäftsführers zum Opfer zu fallen droht, entwickelt er ungewohnte Energie, um mit List und fragwürdigen Mitteln endlich zu beweisen, dass er kein Versager ist.

Zum Glück zeitgebunden ist die Handlung von ›Ich war Schlemihl‹, in der 1966 einer der wundesten Punkte der jungen Bundesrepublik behandelt wird: Die unzulängliche Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit, der allzu nachlässige bis nachsichtige Umgang mit den Täter*innen und die oft ebenso unangemessene Haltung gegenüber Nazigegner*innen. Der von Dietrich Haugk nach einem Drehbuch von Gerd Angermann inszenierte Film dreht sich um einen Mann, der sich während des Nationalsozialismus die Finger schmutzig gemacht hat, dem es aber gelingt, sich in der Nachkriegszeit als Widerstandskämpfer auszugeben. Er gerät jedoch in Schwierigkeiten, als man ihn deshalb für einen Kommunisten hält.

Natürlich muss nicht nur immer wieder die Frage diskutiert werden, was Satire darf, sondern auch, was überhaupt als Satire zu betrachten ist oder wie groß und gewichtig der Anteil satirischer Elemente sein muss, um einen Film entsprechend zu charakterisieren. Sie stellt sich etwa bei manchen Arbeiten Wolfgang Menges, dem die Kinemathek im Frühjahr 2024 anlässlich seines hundertsten Geburtstages in Zusammenarbeit mit dem Zeughauskino eine eigene Werkschau im Zeughauskino widmet.

Wie Menges legendäre Reihe ›Ein Herz und eine Seele‹ (1973-76) wurde auch Marcus Scholz’ Serie ›Spaß beiseite – Herbert kommt!‹ (1979-81) von einem britischen Vorbild inspiriert. Auch sie karikiert das Denken und Dasein eines sich gern selbst überschätzenden Durchschnittsspießers, allerdings auf weniger grelle Weise als es die Geschichten um »Ekel Alfred». Nebenher persifliert Inge Meysel hier die zahlreichen Mutterrollen, mit denen sie berühmt geworden ist.

Seine Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstkritik demonstrierte auch das Medium selbst: Ein prominentes Beispiel dafür ist der Film ›Doktor Murkes gesammeltes Schweigen‹, den Rolf Hädrich und Dieter Hildebrandt 1964 nach einer Vorlage von Heinrich Böll schufen. Die Reihe »Aus dem Fernseharchiv« präsentiert aber auch ›Doktor Murkes gesammelte Nachrufe‹, die weniger bekannte Fortsetzung von 1965.

Ebenfalls den Alltag in einer Rundfunkanstalt des öffentlichen Rechts behandelt ›Zwei Tote im Sender und Don Carlos im PoGl‹, den Joachim Roering nach eigenem Buch drehte. Roering, einst Hauptautor von ›Hallo Nachbarn!‹, schuf über Jahrzehnte hinweg viele satirische Fernsehproduktionen. Als seine 1972-76 entstandene Serie ›Abramakabra‹, die zwischen Satire, Comedy und schwarzem Humor changiert, 2021 erstmals vollständig wiederholt wurde, geschah dies nur in zensierter Form.

Freiheit muss eben immer wieder verteidigt werden.

Jan Gympel

Ursprünglich vor allem als Journalist und Filmkritiker tätig, widmet er sich inzwischen vornehmlich der deutschen Film- und Fernsehgeschichte. So initiierte er unter anderem 2015 die Reihe »Aus dem Fernseharchiv«, die zunächst im Zeughauskino stattfand und nun in den Räumen der Kinemathek fortgeführt wird.