»Man sieht und lässt sich sehen«
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Als wir uns 2005 zum ersten Mal persönlich begegneten, hatte ich schon einige Male über Filme von Thomas Schadt geschrieben. Für den Porträtfilm ›Der Kandidat‹, der den SPD-Politiker Gerhard Schröder beim Bundestagswahlkampf begleitete, war der Dokumentarfilmer 1999 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden. Nun hatten ihn die Stifter in die Jury berufen. Auf einem Gruppenfoto, das hier immer noch zu sehen ist, steht Thomas in einer Reihe von sechs Männern zwischen dem Journalisten Marcel Rosenbach und dem Regisseur Roland Suso Richter. Für die Schauspielerin Ulrike Folkerts, die Produzentin Heike Richter-Karst und mich waren eigens drei goldene, an einen Thron erinnernde Sessel organisiert worden. Es wirkt aber nicht, als wären wir die Königinnen, sondern eher als seien wir das hübsche Beiwerk für die Kollegen hinter uns. Obwohl wir alle in einer Branche arbeiteten, die Bilder herstellt oder analysiert, kann ich mich nicht erinnern, dass jemand von uns dieses Arrangement kritisiert hätte. Vielleicht haben wir Frauen über das Blattgold gekichert, die Herren ein paar Witze gemacht.
Warum ich das schreibe? Vor Kurzem hat Thomas Schadt sich entschieden, sein umfangreiches Produktionsarchiv der Kinemathek zu übergeben, darunter auch eine Festplatte mit allen seinen Filmen – vom DFFB-Abschlussfilm bis heute. In der Mediathek unseres Museums sind sie nun alle zur Sichtung verfügbar. Thomas selbst wies uns auf etwas hin, dass auch er erst in der Rückschau bemerkt hatte: Er hat fast ausschließlich Filme über Männer gemacht. Was meint: Porträts über Kanzlerkandidaten, Fußballmanager oder Sterneköche. Über James Last, Franz Beckenbauer oder Matthias Richling. Es geht in seinen Filmen um rasende Autofahrer, entfesselte Heavy Metal-Sänger oder selbstvergessene Computerfreaks. Am Reichsparteitagsgelände in Nürnberg erklären Männer, wie alles war und alles ist. Schadts Kamera begleitet einen Düsseldorfer beim Flanieren über die Kö (»Man sieht und lässt sich sehen«), Mordkommissare beim Ermitteln und Lothar Matthäus in der Kabine beim Föhnen. Es wird eine Welt beschrieben, in der Frauen nicht vorkommen, aber auch nicht fehlen. Wie sagt Herr Kotsch so schön in ›Computerfieber‹? Es sei ruhiger und friedlicher geworden, seit der Computer im Haus ist. Seitdem muss er sich nicht mehr mit seiner Frau über »für und wider« unterhalten, sondern kann sich mit seinem Computer auseinandersetzen. Mit Hingabe füttert er jetzt seine Datenbank mit den Biodaten seiner Frau. Immerhin in diesem Kontext interessiert er sich noch brennend für ihren Herzschlag.
Es sind solche kleinen Beobachtungen, die die Filme von Thomas Schadt ausmachen. Da gibt es den arbeitslosen Lokführer aus ›Leben ohne Arbeit‹, der damit hadert, sich von seiner Freundin einladen zu lassen. Ohne die finanziellen Mittel könne er nicht den nötigen »Gegendruck« machen, antwortet er auf Schadts Frage, welche Bedeutung Geld für eine Liebesbeziehung hat. Fern jeder Ironie erläutert FC Bayern Manager Uli Hoeneß, wie die millionenschweren Ablösesummen von Profispielern in komplexen Formeln berechnet werden: Spielergehalt + Angebot alter Verein + Angebot neuer Verein, geteilt durch 3 x Wirtschaftskraft des Vereins nach Punkten. Der New Yorker Immobilienmakler Donald Trump prahlt mit seiner Geschäftstüchtigkeit, in Köln üben langhaarige Rockmusiker vor dem Spiegel ihre martialischen Posen.
Eigens für unsere Werkschau hat Thomas Schadt einen 67-minütigen Kompilationsfilm zusammengestellt. Durch die Dekontextualisierung in 20 Miniaturen wird besonders greifbar, dass Thomas Schadt auch früher schon einen Blick für die Komik männlicher Hybris hatte. Es geht in ›Männerbilder des späten 20. Jahrhunderts‹ häufig um Wettkampf und Großmannssucht, um das Bewusstsein, selbstverständlich im Besitz der Definitionsmacht zu sein. Aber immer wieder porträtiert er auch sehr empathisch die Verlorenheit derer, die nicht zu den Gewinnern gehören. Und damit ist nicht allein Robert Steinhäuser gemeint, über dessen Erfurter Amoklauf Thomas Schadt seinen vielleicht wichtigsten Film gemacht hat.
Ab dem 3. November können Besucher*innen der Deutschen Kinemathek eine fast vollständige Auswahl von Thomas Schadts Dokumentationen in voller Länge anschauen und ausgewählte Exponate seines Produktionsarchivs betrachten. Fünf Sichtungsinseln in der Mediathek Fernsehen vertiefen den Blick auf verschiedene, wiederkehrende Themen im Gesamtwerk des Dokumentaristen. Ein sechster Monitor präsentiert den Kompilationsfilm ›Männerbilder des späten 20. Jahrhunderts‹.
Die Ausstellung ›Fokus Fernsehen Thomas Schadt‹ ist vom 3.11.2023 bis zum 6.5.2024 in den Räumen der Deutschen Kinemathek zu sehen. Mehr Informationen gibt es hier.