
›Stadt der verlorenen Seelen‹ (Berlin Blues), BRD 1982. Alle Rechte vorbehalten / Quelle: Deutsche Kinemathek
Der Einstein des queeren Films
Inhalt
Anlässlich des 80. Geburtstags von Rosa von Praunheim werfen wir einen Blick auf das schillernde Werk des queeren Avantgarderegisseurs. Viele seiner Filme berührten gesellschaftliche Tabus und besaßen durch ihre künstlerische wie thematische Kompromisslosigkeit eine geradezu aktivistische Sprengkraft, sei es zum Thema Homosexualität (›Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt‹, 1971), AIDS (›Ein Virus kennt keine Moral‹, 1986) oder Transgender (›Transsexual Menace‹, 1996).
Trotz oder vielleicht gerade wegen seines großen internationalen Erfolgs bei Kritikern wie bei Cineasten blieb Praunheim seinem Ruf als Underground-Filmemacher treu: Klassische Mainstream-Filme finden sich in seinem sonst überaus vielfältigen Œuvre kaum. Für sein inzwischen über 150 Spiel- und Dokumentarfilm umfassendes Werk, das auch Theaterstücke wie ›Satan's Mistress‹ (1997) und künstlerische Performances mit einschließt, erhielt Praunheim zahlreiche Preise und Auszeichnungen, darunter den Max-Ophüls-Ehrenpreis (2020), den Special Teddy Award der Berlinale (2015) und den Grimme-Preis (2012).
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›Die Bettwurst‹, BRD 1970
Die 50-jährige Luzi lernt den zwei Jahrzehnte jüngeren Dietmar kennen und sie beziehen eine gemeinsame Wohnung. Luzi wird von Kriminellen entführt, die noch eine alte Rechnung mit Dietmar begleichen wollen. Er befreit Luzi mit Gewalt und beendet endgültig seine kriminelle Vergangenheit.
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›Berliner Bettwurst‹, BRD 1973
Ein Paar reist nach Berlin, stellt dort fest, dass Eheschließungen in der Stadt vom Staat finanziell begünstigt werden, und heiratet. Im knallbunten Versandhaus-Familienidyll beginnt es zu kriseln, als er mit Homosexuellen und Drogenabhängigen in Verbindung kommt, und sie Trost bei einem bürgerlichen Hochstapler sucht.
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›Tally Brown, New York‹, BRD 1977
Tally Brown singt »Heroes«, den David Bowie-Titel, und »Love In Vain« (Rolling Stones). Auf ihren Wegen in Manhattan, in Las Vegas, in Miami erzählt sie von ihrer Karriere, von ihrem Entdecker (Leonard Bernstein), von ihrer Mutter. Ihre Freunde, Stars des New Yorker Underground, werden vorgestellt; Holly Woodlawn singt »Dr. Jazz«. Vor der Skyline von Manhattan erklärt Tally Brown ihre Liebe für New York.
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›Unsere Leichen leben noch‹, BRD 1981
In teils dokumentarischen, teils gespielten Szenen porträtiert der Film fünf Frauen um die 60, die Beispiele für ungebrochene Kraft und Lebenslust im Alter sind: selbstbewußte, schillernde Persönlichkeiten, die ihren privaten Lebensstil herrschender Resignation und Lebensschwäche im Alter entgegensetzen. Ein bewusst amateurhaftes und formloses Gemisch aus Dialog, Pamphlet und Clownerie, das mit einigem Erfolg versucht, festgeschriebene Geschlechterrollen zu verunsichern und Daseinsfreude auch im Alter und jenseits gesellschaftlicher Konventionen zu vermitteln. Dabei ist der streckenweise auch durchaus aggressiv argumentierende Film ebenso angreifbar wie seine Protagonistinnen, weil die wichtige Aussage allzu oft im Sammelsurium der grellen Formalismen unterzugehen droht.
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›Anita – Tänze des Lasters‹, BRD 1987
Eine alte Frau beschwört in verklärten Bildern noch einmal ihr bewegtes Leben als große Tänzerin der Stummfilmzeit herauf, ehe sich ihre Vita als bis zum Wahnsinn gesteigerter Wunschtraum entpuppt. Der Film zeichnet liebevoll-ironisch, bisweilen aber auch mit bizarren Mitteln die triviale Formen- und Gefühlswelt der Stummfilmzeit als utopisches Gegenbild zu einer trist normierten Gegenwart. Eine größtenteils eigenwillige und fantasievolle Huldigung an die exaltierte Ästhetik der 1920er-Jahre und an die Unzerstörbarkeit menschlicher Lebenslust und Einbildungskraft.
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›Überleben in New York‹, BRD 1989
Drei deutsche Frauen aus »normalen« Verhältnissen kommen Anfang der 1980er-Jahre nach New York und versuchen, im ständigen Kampf mit ihren eigenen Widersprüchlichkeiten und den extremen Gegensätzen der Stadt, Fuß zu fassen. Mit den Mitteln des Dokumentarfilms gestaltete Frauenporträts in einer Stadt, die ihre Bewohner wie hypnotisiert in ihren Bann zieht, um ihnen dann nur die Chance des »Überlebens« zu geben. Hervorragend fotografiert. (Quelle: Filmportal)
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›Affengeil‹, D1990
Rosa von Praunheims in jeder Hinsicht persönliches, semidokumenarisches Portrait der Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin Lotti Huber. Von Praunheim selbst erläutert dazu: »Wir filmten Lotti als Hexe auf einem Besenstiel und wir flogen nach Kiel und filmten sie vor ihrem Elternhaus und an den Stätten ihrer ersten Liebe. Lotti spielte eine Doppelrolle als König Faruk und sich selbst in jungen Jahren, wie sie einen rasanten Bauchtanz hinlegt. Sie erzählte, wie sie ihren Bauchnabel mit einer Perle verschlossen hatte, weil der ägyptische König dafür bekannt war, im Nabel seiner Tänzerinnen glühende Zigaretten auszudrücken.« (Quelle: Filmportal)
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›Der Einstein des Sex‹, D/NL 1999
Porträt von Magnus Hirschfeld, dem Pionier der Sexualforschung (1868–1935). Der liberale Jude gründet 1897 das »Wissenschaftlich-Humanitäre Komitee« und unterstützt eine Petition gegen den § 175, der Homosexuelle kriminalisierte. Er arbeitet für die psychoanalytische Vereinigung, überwirft sich dann jedoch mit Freud und Jung. Mit seinem 1919 gegründeten Institut für Sexualforschung erfährt er internationale Anerkennung, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird das Institut jedoch zerschlagen und Hirschfeld stirbt im Exil.
Kopien der hier ausgewählten Werke von Rosa von Praunheim gibt es im Filmverleih der Deutschen Kinemathek.