Nie zuvor in der Geschichte des deutschen Fernsehkrimis haben so viele Frauen so viele führende Positionen eingenommen wie heute. Die Offensive der Kommissarinnen setzte in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein, zunächst im öffentlich-rechtlichen, dann auch im privat-kommerziellen Fernsehen. Über einhundert Schauspielerinnen haben seitdem als Kommissarinnen ihren Dienst verrichtet, Verbrecher gejagt und Verbrechen aufgedeckt. Mit List und Raffinesse, mit Intelligenz, Intuition und Charme. Kompromisslos, wenn es der Fall erforderte, und immer wieder mit einem ausgeprägtem Bewusstsein von jenen gesellschaftlichen Zusammenhängen, die kriminelle Energie erzeugen.
In Deutschland gibt es so gut wie keine Schauspielerin von Rang und Namen, die sich diese Rolle, diesen Auftritt im Fernsehen hätte entgehen lassen: Ulrike Folkerts, Hannelore Hoger, Hannelore Elsner, Iris Berben, Corinna Harfouch, Eva Mattes, Ulrike Kriener, Imogen Kogge … Sie alle haben inzwischen ihre männlichen Vorläufer in den Hintergrund gespielt. Nicht nur Legenden wie »Der Kommissar« (Erik Ode) oder »Derrick« (Horst Tappert), selbstzufriedene Vaterfiguren in einer in Unruhe geratenen Republik, sondern auch Rebellen und Draufgänger vom Schlage eines Horst Schimanski (Götz George).
Woher kommt der Erfolg dieser Frauen? Welche Rollenmodelle werden mit ihnen auf dem Bildschirm propagiert? Was bringen sie zum Vorschein? Eine Utopie? Die Kluft zwischen gesellschaftlicher Wirklichkeit und Fernsehfiktion? Ein neues weibliches Selbstverständnis der postfeministischen Generation? Auf Fragen wie diese versucht das vorliegende Buch ›Die Kommissarinnen‹ – entstanden zur gleichnamigen Ausstellung der Deutschen Kinemathek – zu antworten.
Thea Dorn, unter den jungen deutschen Krimi-Autorinnen die wohl bekannteste, reicht ihre Ansichten dazu literarisch verspielt und mit der ihr eigenen Ironie an die Leserinnen und Leser weiter. Die Kulturwissenschaftlerin Gabriele Dietze, mit dem Krimi-Genre im deutschen und angelsächsischen Sprachraum bestens vertraut, nimmt in ihrem mediengeschichtlichen und ideologiekritischen Essay die Voraussetzungen und Folgen dieser einzigartigen Frauen-Karriere in Augenschein. Der lexikalische Teil schließlich versammelt die Namen, die Fernsehserien und Viten aller Protagonistinnen.
Wir freuen uns, dass es gelang, die Fotografin Herlinde Koelbl für dieses Buch zu gewinnen. In ihrem Foto-Zyklus sieht sie die Kommissarinnen auf eine Weise, die weit über das hinausgeht, was uns die Fernsehbilder täglich vorspielen und vermitteln. Ihr Blick verändert das nun schon Gewohnte, das vermeintlich Vertraute. In ihren Schwarzweiß-Fotografien erscheinen uns die Kommissarinnen, die Schauspielerinnen in einem völlig neuen Licht – und wahrscheinlich geht es den Fotografierten nicht anders.
Einerseits hat Herlinde Koelbl ihnen – den Stars sowie der einen, echten Kommissarin – die Dramaturgie ihrer fotografischen Erzählung vorgegeben. Andererseits hat sie den »Kommissarinnen« gerade im Umgang mit der Dienstwaffe freie Hand gelassen. Das Ergebnis betört. Vielleicht verstört es auch. Mit Sicherheit aber überführt Herlinde Koelbl uns, das Publikum, das sich gerne einrichtet in seinen lieb gewordenen Ansichten. Nach diesen Bildern werden wir unseren Augen beim Betrachten des abendlichen Fernsehkrimis noch weniger trauen.
Natürlich ist die fotografische Reihe nicht komplett. So fehlen beispielsweise Stars wie Senta Berger und Maria Furtwängler. Dieses Buch will und kann nicht alle Wünsche befriedigen. Es zieht eine erste Bilanz. Wenn sich daraus neue Fragen und weitere Wünsche ergeben – umso besser!
Gerlinde Waz und Peter Paul Kubitz (aus dem Editorial des Buches)