Berlinale Classics 2019
Die Berlinale Classics bringen im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin digital restaurierte Filmklassiker und Wiederentdeckungen zurück auf die große Leinwand.
Classics
Destry Rides Again
(›Der große Bluff‹), USA 1939, Regie: George Marshall
Eine Kleinstadt im Wilden Westen wird von einem skrupellosen Betrüger und seiner Bande terrorisiert. Auch der neue Hilfssheriff erweist sich als nutzlos: Statt zur Waffe zu greifen, hält er sich strikt an die Buchstaben des Gesetzes. Erst als sein engster Mitstreiter ermordet wird, kommt es zum Sinneswandel … Nach sieben Filmen unter der Regie Josef von Sternbergs und einigen Flops wagte Marlene Dietrich einen radikalen Image-Wechsel. Als zwielichtige Saloon-Sängerin ist sie keine ätherische Schönheit, sondern eine durchsetzungsfähige Frau – beim Damenringkampf ebenso wie im Clinch mit Deputy Tom Destry. Dessen Einsatz 1939 diente übrigens der gerechten Sache, denn ›Destry Rides Again‹ ist mehr als nur eine stilprägende Western-Komödie. Der Film lief unmittelbar nach dem Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen in den Kinos an und warnte recht offensichtlich vor einer Appeasement-Politik der USA gegenüber dem »Dritten Reich«. Neben Marlene Dietrich waren auch die jüdischstämmigen Emigranten Felix Joachimson (Buch), Friedrich Holländer (Liedtexte) und Joseph (Joe) Herman Pasternak (Produktion) beteiligt.
Welterstaufführung der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 4K DCP
Die Sieger
Director’s cut, D 1994, Regie: Dominik Graf
Polizeihauptmeister Karl Simon leitet ein SEK in Düsseldorf. Bei einem Einsatz gegen die Mafia entkommt ein Verdächtiger. Doch Simon hat seinen ehemaligen Kollegen Heinz Schaefer wiedererkannt. Dieser soll vor Jahren Selbstmord begangen haben, nachdem er in einer Verzweiflungstat sein behindertes Kind getötet hatte. Die Suche nach dem »Phantom« erweist sich für Simon und seine Kollegen als lebensgefährlich. Denn mit aller Macht versuchen die Verantwortlichen, ein Komplott von Politik und organisiertem Verbrechen zu vertuschen … Vor 25 Jahren erlebte die deutsche Spielart des italienischen Giallos ihre Erstaufführung. Für den Director’s Cut hat Dominik Graf seinen harten Polizei-Thriller nun um drei Szenen ergänzt. Das Restaurierungsteam der Bavaria Film fügte diese Szenen, die nicht mehr auf 35-mm-Material zur Verfügung standen, aus der Magnetbandaufzeichnung der Rohschnittfassung in die ursprüngliche Kinofassung ein. Dabei mussten sie an das hochwertige, digital bearbeitete 4K-Material angeglichen werden. Insbesondere die Tonbearbeitung der bisher nie gemischten Szenen verlangte viel Aufmerksamkeit.
Welterstaufführung der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 4K DCP
Jagko
KOR 1980, Regie: Im Kwon-taek
Krank und mittellos wird der Ex-Polizist Song in ein Armenasyl gesperrt. Hier erkennt er in einem anderen menschlichen Wrack seinen alten Kontrahenten Jagko. Als Offizier des Südens hatte Song den kommunistischen Freischärler im Koreakrieg festgenommen, doch rasch war Jagko die Flucht gelungen. Nachdem Song dafür degradiert wurde, begann sein unaufhaltsamer Niedergang und eine 30 Jahre währende besessene Suche nach dem Geflohenen. Aber auch für Jagko hatte damals ein Leidensweg begonnen … In Rückblenden aus der Sicht seiner Protagonisten erzählt der 2005 mit dem Goldenen Ehrenbären ausgezeichnete koreanische Regisseur Im Kwon-taek die Geschichte einer obsessiven Beziehung. Dabei spiegelt sich in den (Anti-)Helden des Films die Tragödie seines geteilten Landes. Unterbrochen von Action-Szenen und stillen Landschaftsaufnahmen steuert das unversöhnliche Ringen der beiden verbissenen Kämpfer auf ein fatales Ende zu. Indem Im Kwon-taek den Korea-Konflikt mit Bildern von der Annäherung zwischen den USA und der UdSSR als Anachronismus enthüllte, nahm das koreanische Kino Abschied vom Kalten Krieg.
Internationale Erstaufführung der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 2K DCP
Ordet
(›Das Wort‹), DK 1955, Regie: Carl Theodor Dreyer
Der gottesfürchtige Großbauer Morten Borgen hat drei Söhne: Mikkel, der älteste, ist verheiratet mit Inger, die ihr zweites Kind erwartet; Johannes, der zweitgeborene, lebt in dem Wahn, Jesus Christus zu sein; und Anders, der jüngste, möchte ausgerechnet die Tochter des sektiererischen Schneiders heiraten, mit dem sein Vater im Glaubensstreit liegt. Schließlich kommt es darüber sogar zu Handgreiflichkeiten zwischen den Männern. Viel schwerer allerdings wiegen die Komplikationen während Ingers Schwangerschaft: Um die Mutter zu retten, muss der Arzt das Neugeborene opfern. Doch der zürnende Johannes prophezeit auch Ingers Tod … Das minimalistische Spätwerk Dreyers basiert auf einem jütländischen Drama von 1925. Der in kargen, theaterhaften Kulissen und langen Einstellungen gedrehte Film ist für seine bewegliche Kameraführung und »altmeisterliche« Ausleuchtung berühmt. Auf seinen spirituellen Kern – den Triumph des Glaubens über den Rationalismus – reduziert, lässt sich ›Ordet‹ mit seiner Parteinahme für das Übernatürliche auch als Glaubensbekenntnis in Bezug auf die Wunderkräfte des Kinos verstehen.
Weltpremiere der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 4K DCP
Örökbefogadás
(›Adoption‹), HUN 1975, Regie: Márta Mészáros
Kata ist Fabrikarbeiterin. Sie wird 43, ist Witwe und hat seit längerer Zeit ein Verhältnis mit einem verheirateten Kollegen. Kata wünscht sich ein Kind, doch ihr Geliebter, selbst zweifacher Vater, ist strikt dagegen. Als Kata die 17-jährige Anna aus dem Erziehungsheim kennenlernt, nimmt sie sich des Mädchens an. Sie stellt Anna ihre Wohnung für Übernachtungen mit deren Freund zur Verfügung, führt lange Gespräche mit ihr und setzt sich bei der Heimleitung für sie ein. Während Kata sich von ihrem Liebhaber innerlich löst, nimmt sie Kontakt zu Annas Eltern auf und treibt die vom Mädchen ersehnte Heirat mit dem Freund zielstrebig voran … Márta Mészáros erzählt mit ruhigen Bildern und langen Einstellungen von einer wundervollen Freundschaft zwischen einer einsamen Frau und ihrer »Tochter auf Probe«. So behutsam wie die Kamera die Körper der Protagonistinnen erkundet, so feinfühlig offenbart der Film ihre inneren Verletzungen und ihre Sehnsucht nach menschlicher Wärme in einer kalten Umwelt. Für ›Örökbefogadás‹ wurde Márta Mészáros 1975 als erste Regisseurin mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.
Weltpremiere der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 4K DCP
Ung Flukt
(›Die jungen Sünder‹), NOR 1959, Regie: Edith Carlmar
Die 17-jährige Gerd, uneheliche Tochter einer berufstätigen, alleinerziehenden Mutter, ist auf die schiefe Bahn geraten. Nachdem die Polizei sie vorübergehend in Gewahrsam genommen hatte, fährt ihr Verehrer Anders, ein Student, gegen den Willen seiner Eltern mit Gerd aufs Land, um sie vor schlechten Einflüssen zu schützen. In einer einsamen Waldhütte leben die jungen Leute von Luft und Liebe, bis ein Landstreicher auftaucht, der Gerd ganz gut gefällt … Anders als US-Teenagerfilme über minderjährige Straffällige zeigt der zehnte Spielfilm von Edith Carlmar Verständnis für eine ebenso vitale wie fragile Heranwachsende. Zu den fürs Youthploitation-Genre üblichen Ingredienzen wie Cola, Jeans und Jazz gehören auch die Pin-Up-Posen der 20-jährigen Liv Ullmann in ihrer ersten Hauptrolle. Die waren nicht jedem willkommen: »Ihr Gesicht ist lebendig und ausdrucksvoll, und sie hat Sex. Da ist es ganz überflüssig, dass Edith Carlmar so bemüht auf ihre Brüste und Schenkel setzt. Liv Ullmann ist kein BB-Typ. Sie kann mit viel bedeutenderen Mitteln wirken«, prophezeite Leif Borthen in der Osloer Tageszeitung Verdens Gang.
Welterstaufführung der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 4K DCP