Berlinale Classics 2016
Die Berlinale Classics bringen im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin digital restaurierte Filmklassiker und Wiederentdeckungen zurück auf die große Leinwand.
Bakushū
(›Weizenherbst‹), Japan 1951, Regie: Yasujirō Ozu
Noriko ist ein »spätes Mädchen«. Ohne an eine Ehe zu denken, lebt die 28-Jährige glücklich im Haus ihrer Eltern, zusammen mit ihrem Bruder, dessen Frau und deren zwei Kindern. Doch auch Noriko sollte heiraten, finden ihre Angehörigen, und auch ihr Vorgesetzter. Er bringt einen alten Freund ins Spiel – als »gute Partie«. Noriko zeigt sich zwar desinteressiert, doch auf das bloße Gerücht ihrer Verheiratung hin kommt es hinter ihrem Rücken zwischen den Verwandten zum Streit über ihre vermeintliche »Wahl« … Anders als die Kanarienvögel in ihren Käfigen auf der Veranda tendieren Menschen dazu, ihr Heim zu verlassen. Wehmütig, mit den Ozu-typischen Auslassungen und atmosphärisch geprägt von den schlichten Interieurs, schildert der Film einen als notwendig erkannten familiären Trennungsprozess. Wim Wenders, 1993: »Für mich ist Yasujiro Ozu derjenige Filmemacher, der die Kunstform des 20. Jahrhunderts zu seiner absolut schönsten und unnachahmlich und unwiederholbar größten Form geführt hat.« Gespielt wird Noriko von Ozus Lieblingschauspielerin Setsuko Hara, die im September 2015 mit 95 Jahren verstarb. – Weltpremiere der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 4K DCP.
Der müde Tod
D 1921, Regie: Fritz Lang
Einer jungen Ehefrau wird der Bräutigam vom Tod geraubt. Zum Suizid entschlossen, gelangt auch sie in dessen Reich. Ihre Bitte um das Leben des Geliebten kann der Tod aber nicht erfüllen, es sei denn, sie rettet drei andere Menschenleben. Daraufhin verschlägt es sie in den Orient, nach Venedig und China … Ein 35mm-Schwarzweiß-Duplikat-Negativ des Museum of Modern Art war Grundlage für die digitale Restaurierung. Weitere in den Restaurierungsprozess involvierte Institutionen waren die Cinémathèque de Toulouse, das Filmmuseum München, der Gosfilmofond of Russia, Moskau, das Národní filmový archiv, Prag, die Cinémathèque Royale, Brüssel, sowie LʼImmagine Ritrovata, Bologna. Der Freiburger Komponist Cornelius Schwehr schuf im Auftrag von ZDF/ARTE eine neue Filmmusik, die der stilistischen Vielfältigkeit des Filmklassikers gerecht wird. – Weltpremiere der digital restaurierten Fassung 2016 im Vorführformat 2K DCP. Eine Kooperation der Internationalen Filmfestspiele Berlin mit der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, ZDF/ARTE und dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) unter der Leitung von Frank Strobel.
Die Russen kommen
DDR 1968/1987, Regie: Heiner Carow
Frühjahr 1945 in einem kleinen Ostseebad. Der 16-jährige Günter glaubt fest an den deutschen Endsieg. Bei der Jagd nach einem entflohenen Zwangsarbeiter ist er der Schnellste, stellt ihn und sieht mit an, wie er erschossen wird. Stolz nimmt er das Eiserne Kreuz II entgegen, bevor er im letzten Aufgebot an die nahe Front geschickt wird. Bei seinem ersten Einsatz ergreifen ihn sowjetische Soldaten, aber er entkommt nach Hause. Nach der Besetzung des Ortes durch die Rote Armee wird Günter wegen Mordes an dem Zwangsarbeiter verhaftet … Günter, »unter den Schuldigen der Unschuldigste« (Carow), erlebt jenen Tag, der in der DDR zum »Tag der Befreiung« wurde, als eine Katastrophe, die ihn in große Verwirrung stürzt. Ein Film über den Faschismus ohne antifaschistischen Helden passte nicht ins Bild. ›Die Russen kommen‹ wurde 1968 vor der Fertigstellung verboten, große Teile des Negativs später vernichtet. Erst 1987 konnte der Film anhand disparater Arbeitsmaterialien rekonstruiert und fertiggestellt werden. Seine Verbotsgeschichte bleibt ihm auch nach der Restaurierung sichtbar ins Material eingeschrieben. – Weltpremiere der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 2K DCP.
Fat City
USA 1972, Regie: John Huston
Früher war Billy Tully ein vielversprechender Boxer. Jetzt, mit 29, ist er ein hoffnungsloser Säufer. Als er bei einem Sparring den zehn Jahre jüngeren Ernie kennenlernt, schickt er den talentierten Gelegenheitsboxer zu seinem Ex-Trainer Ruben, der für den Jungen einige Aufbaukämpfe arrangiert, die Ernie jedoch sämtlich verliert. Von dessen Ehrgeiz dennoch angespornt und in seiner Beziehung mit der Trinkerin Oma immer unglücklicher, wagt auch Billy eine Rückkehr in den Ring … »Help Me Make It Through the Night«: Kris Kristoffersons melancholischer Song gibt den Grundton vor für ein außergewöhnliches Boxerdrama. Fernab vom Glamour des Profisports führt es in die heruntergekommenen Gyms, Bars und Arbeitslosenunterkünfte von Stockton, Kalifornien. In der Regie von John Huston verdichtet sich die Charakterstudie zu einer realistischen Schilderung der Schattenseiten einer scheinbar wohlhabenden Stadt mit ihren sozialen Verlierern, armen Schwarzen, Latinos und Weißen. An den Originalschauplätzen wurde sie meisterhaft fotografiert vom Kameramann Conrad Hall (›In Cold Blood‹, USA 1967). – Internationale Premiere der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 4K DCP.
Ni luo he nu er
(›Daughter of the Nile‹), Taiwan 1987, Regie: Hou Hsiao-hsien
Drei Geschwister ohne Eltern im Taipeh der achtziger Jahre: Hsiao-yang arbeitet als Restauranthilfe bei Kentucky Fried Chicken, ihr Bruder ist seit Kindertagen ein Dieb, und auch die kleine Schwester fängt schon mit dem Stehlen an. Die Mutter ist gestorben, der Vater Polizist im Süden. Hsiao-yang besucht die Abendschule, der Bruder betreibt mit Kumpanen ein Restaurant und wird wegen Verfehlungen eines Teilhabers, mit dem Hsiao-yang befreundet ist, in einen Bandenkrieg verwickelt. Noch bevor der Freund nach Japan fliehen kann, trifft ihn eine Kugel … Hou Hsiao-hsien zeichnet das melancholische Porträt einer hedonistischen, aber auch verlorenen Jugend. Zu zeitgenössischem Taiwan-Pop zeigt er das Taipei der Leuchtreklamen, durch das die jungen Leute auf Mopeds »cruisen«, wenn sie nicht im offenen Geländewagen Ausflüge an den Strand unternehmen, um nächtliche Parties zu feiern – ahnend, dass ihre Clique bald auseinandergehen wird. Der allerorten spürbaren Flüchtigkeit begegnet Hsiao-yang durch die hingebungsvolle Lektüre eines im vorzeitlichen Ägypten angesiedelten Comics, dem Hous Film seinen Titel verdankt. – Weltpremiere der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 4K DCP.
The Road Back
USA 1937, Regie: James Whale
Die Fortsetzung der Remarque-Verfilmung ›Im Westen nichts Neues‹ (USA 1930) setzt im November 1918 ein. Trotz des Waffenstillstands werden vier deutsche Infanteristen noch in ein letztes, sinnloses Gefecht geschickt. Der Weg zurück ins Zivilleben fällt den Männern schwer: In der Heimat sind sie mit aufgebrachten Revolutionären, traumatisierten Kameraden und Kriegsgewinnlern konfrontiert. Über das Grauen, das hinter ihnen liegt, können sie kaum sprechen. Dann kommt es zu Hungerunruhen, und es ist ausgerechnet ihr ehemaliger Kommandant, der sie blutig niederschlägt … Wie alle Bücher Remarques war ›Der Weg zurück‹ (1931) in Nazi-Deutschland verboten. Auch an James Whales Verfilmung wurden nach ersten Previews und Protesten von deutscher Seite 1937 von der Studioleitung mehrere Schnitte vorgenommen, andere Szenen – darunter romantische und komische –, wurden ergänzt. An ihnen war der Regisseur nicht mehr beteiligt. Die Restaurierung stellt nun die 1937 in die Kinos gekommene Fassung wieder her. – Weltpremiere der restaurierten Fassung im Vorführformat 35 mm.