Tor! Fußball und Fernsehen
5.5. – 31.8.06
Allgemeine Informationen
»Das Geheimnis des Fußballs ist ja der Ball«, hat Uwe Seeler einmal gesagt – aber das ist wohl nur einer der Gründe für die Faszination, die dieser Sport auf so viele Menschen weltweit ausübt. Er lockt Hunderttausende in die Stadien und Millionen vor die Fernseher, seine Akteure sind Stars, die verehrt werden wie Helden. Das Fernsehen hat einen wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung. Es hat nicht nur die Popularität des Sports durch immer neue Inszenierungsweisen potenziert, es hat auch das Bild der meisten Menschen vom Fußball geprägt. »Dass der heutige Fußball so viel schneller und athletischer wirkt als der vor zwanzig oder dreißig Jahren, als meist nur eine einzige Halbtotale mit langen Schwenks ein eher behäbiges Gesamtbild erzeugte«, schreibt Christian Eichler in seinem Lexikon der Fußballmythen, »hat vielleicht mehr mit dem Fortschritt des Fernsehens als dem des Fußballs zu tun.«
Eine spannende, eine mitunter auch prekäre Liaison hat sich da entwickelt, eine Beziehung, in der beide Seiten voneinander profitieren, in der sie einander aber auch auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. »In Ländern wie Mexiko und Argentinien«, so Eichler, »bestimmt in der Praxis ein Fernsehsender über die Nationalteams; in Europa kaufen sich immer mehr Medienmultis die passenden Klubs für ihr Programm.« So nutzen sie ihre Sportsendungen als Werbeplattform für einen gigantischen Markt von Sponsoren und treiben – um Übertragungsrechte wetteifernd – die Lizenzkosten in schwindelerregende Höhen.
Die Ausstellung „Tor! Fußball und Fernsehen" erzählt, wie der Fußball die Entwicklung des Fernsehens beeinflusst und das Fernsehen den Profi-Fußball mitgeformt hat. Sie beschreibt die Inszenierung von Bild und Wort, das Spektakel um Schau und Show, das Drama um Geld und Gefühle, den Bilderrausch und die nüchternen Momente rund um den ledernen Ball.
Offizieller Beitrag des Kunst- und Kulturprogramms der Bundesregierung zur FIFA WM 2006™ in Zusammenarbeit mit dem OK FIFA WM 2006
Galerie
Pressereaktionen und Partner
Pressereaktionen
rbb Kulturradio am Morgen, Berlin, 3. Mai 2006
Filmmuseum Berlin: »Tor! Fußball und Fernsehen«
Von Simone Reber
(...) Die Glanzstunden des Mediums sind in der Ausstellung zu sehen, wie der berühmte Dialog zwischen Günther Jauch und Marcel Reif 1998, als in Madrid das Tor zusammengebrochen war und beide 90 Minuten in der besten Sendezeit über ein Spiel sprechen mussten, das gar nicht stattfand.
Aber die Ausstellung nimmt uns auch in die übelsten Niederlagen des Mediums mit. Bis 1970 hat der DFB keinen Frauenfußball zugelassen, als das Verbot aufgehoben wurde, zeigt Wim Thoelke im ZDF eine Reportage vom Spiel des Nationalteams. Das findet statt im Tenor: »Mutter schießt eine wunderbare Flanke« oder »Decken, decken, nicht den Tisch decken.«
Das Angenehme an dieser Ausstellung ist, dass sie ironische Distanz zu ihrem Thema hält. Besucher können sich mal gruselnd, mal schadenfroh, mal in Erinnerungen schwelgend von Monitor zu Monitor bewegen.
Süddeutsche Zeitung, München, 4. Mai 2006
Die Nestbeschmutzer
Von Alex Rühle
(...) Die Ausstellung »Tor! Fußball und Fernsehen«, die morgen im Berliner Fernsehmuseum eröffnet, ist schlicht fabelhaft. Allein schon, weil sie nicht mühsam Zusammenhänge konstruieren muss zwischen Dingen, die nichts miteinander zu tun haben. Kuratorin Petra Schlie hat wunderbare Szenen und Momente zusammengesucht, die zeigen, wie sich das Spiel und seine Inszenierung wechselseitig geprägt haben. Und wie sich das Reden über den Fußball geändert hat: Der Nürnberger Trainer Herbert Widmayer schnarrt in Wehrmachtsrhetorik durch die Sportschau: »Nach dem Sieg ziehen wir den Helm fester« (...)
Über dem Eingangsportal der Ausstellung läuft ein Loop, die Teilnehmer des WM-Finales von '74, abgefilmt während der Nationalhymnen, in Erwartung des Spiels; bis zum 30. Juli werden sie über diese weiße Wand laufen, ernste Gesichter, unfreiwillig gefangen in dieser Sequenz, so wie Deutschland und die ganze Welt vom 9. Juni an festhängen werden in einer Schleife aus Anpfiff und Abpfiff und der Hoffnung auf das Endspiel.
Der Tagesspiegel, Berlin, 4. Mai 2006
25 Kameras gegen 22 Spieler
Von Joachim Huber
(...) Die Ausstellung beschreibt die Entwicklungsschübe von der braven Sportschau mit den brav gescheitelten Männern über den Fußball-Klimbim des Privatfernsehens bis hin zum (boulevardesken) Medienspiel um alles und alle im Fußball-Profibusiness. Längst dauert ein Spiel nicht mehr 90 Minuten, eine Übertragung ist ein Event mit eingeübten Ritualen, mit Vor- und Nachspiel. Wer will, kann in der Schau die Schlussminuten des Champions-League-Finales Bayern-München gegen Manchester United kommentieren und feststellen, welche Tücken, Missgeschicke, Irrtümer in der freien Rede hinterm Mikrofon lauern.
Und wer will, kann sich auf einer Monitorwand aktuelle Fußball-Shows aus aller Herren Länder anschauen. Stolz, Frust, Begeisterung, Fachsimpelei, Frauen, die sich vor Spielergebnissen räkeln – Fußball bewegt global auf vergleichbare Weise, da braucht es keine Übersetzung. Die Journalisten, Protagonisten der Abteilung »Schau und Show«, sind in besseren Fällen kühle Berichterstatter und Analytiker, andererseits und immer häufiger Conferenciers der Aktionen und Akteure. Berühmt-berüchtigte Sequenzen wie Carmen Thomas im Aktuellen Sportstudio des ZDF, aber auch das Weizenbier-Duell Hartmann gegen Völler fehlen nicht. Kommentatoren und Experten sind heute Stars mit der Autogrammkarte in der Brusttasche. (...)
Westdeutsche Allgemeine, Essen, 5. Mai 2006
Zwischen Bern und Beckenbauer
Von Ulrike Mattern
Die Ausstellung in Berlin wandelt auf gegenwärtigen und vergangenen Gebrauchsspuren der Fußball- und Fernseh-Allianz, streift prekäre Bahnen – die Show, das Geld, die Macht –, zollt gleichzeitig aber auch der Radioreportage, der »Königsdisziplin der Fußballberichterstattung«, Respekt. Dass das Radio die Fantasie der Hörer beflügelt hatte und die ersten Fernsehbilder ein Kulturschock waren, lernt man hier.
(...) Devotionalien aus den Anfängen der Werbeverträge von Sportlern lassen einen heutzutage schmunzeln: Franz Beckenbauers Knorr-Suppenlöffel ruht auf weißem Kissen mit Goldborte, und ein Vertrag zwischen Adidas und DDR-Sportlern dokumentiert den Reiz des Kapitals. (...)
Waldeckische Landeszeitung, 5. Mai 2006
Lange Meditation über Fußball
dpa
Selbst der Löffel des »Kaisers« ist mittlerweile museumsreif: Das Silberbesteck, mit dem Franz Beckenbauer zu Beginn seiner Karriere in einem TV-Spot eine Fertigsuppe anpries, gehört zu den Sehenswürdigkeiten einer Ausstellung über Fußball und Fernsehen, die heute in Berlin eröffnet wird.
Bunter, schneller, schriller – die Schau »Tor! Fußball und Fernsehen« (bis 30. Juli) zeichnet den Wandel des Fernseh-Fußball nach, von den grobkörnigen Filmen der Fünfziger bis zu gestochen scharfen Bildern heutiger Live-Sendungen.
Sehr getragen wirken da die Moderatoren der frühen Jahre, die kaum mehr als den Namen des ballführenden Spielers fallen ließen. Heute liefern sich Gerhard Delling und Günter Netzer spitzfindige Rededuelle. Da wirkte die sich überschlagende Stimme von Radiokommentator Herbert Zimmermann beim WM-Finale 1954 in der Schweiz eher als emotionaler Ausrutscher. Auch optisch können die Besucher im künftigen Fernsehmusem der Stiftung Deutsche Kinemathek am Potsdamer Platz auf Dutzenden von Monitoren die Entwicklung des Sportspektakels nacherleben. (...)
Blickfang der Ausstellung ist ein Film über den im vergangenen Jahr gestorbenen nordirischen Profi George Best. Knapp 100 Minuten lang verfolgt ein Dutzend Kameras ausschließlich den einstigen Star von Manchester United. Der Experimentalfilm von Hellmuth Costard aus dem Jahr 1970 wirkt auf den Betrachter wie eine lange Meditation über Fußball.
Handesblatt, Düsseldorf, 12.–14. Mai 2006
Gruß aus der Schatzkiste
Von Thomas Winkler
Natürlich: Was da flimmert und vorbeirauscht, davon hat man einiges schon mal gesehen, sei es das berühmte Foul an Ewald Lienen, Rudi Völlers Ausraster auf Island oder die akkuraten Seitenscheitel der Moderatoren aus den Anfangstagen des Aktuellen Sportstudios.
Aber es sind auch von Kuratorin Petra Schlie und ihren Mitarbeitern in monatelangen Recherchen und Videostudium »einige Schätze« gehoben worden. Das gelang auch, weil man den Frauenfußball nicht vergaß und den Blick gen Osten. So ist unter Glas auf einer als »Streng vertraulich« gestempelten Direktive nun nachzulesen, welche Richtlinien die DDR ihren Medienmitarbeitern mitgab auf den Weg zur WM 1974 beim westdeutschen Klassenfeind: »Die Mannschaft der BRD« solle »wie jede andere ausländische Mannschaft behandelt« und »der Ton der Reporter sachlich-kühl gehalten werden«.
Im gleichen Jahr schwadronierte Karl-Eduard von Schnitzler im Schwarzen Kanal davon, dass das Westfernsehen »mit zügelloser Reklame« den Zuschauern »falsche Leitbilder einhämmert«, wohl wissend, dass zu dieser Zeit die DDR mit dem Verkauf von Bandenwerbung bei Europapokalspielen längst harte Devisen verdiente.
An anderer Stelle, in einer Installation aus Fernsehschirmen, kann der Besucher eintauchen in die weltweit so verschiedene Berichterstattung: Von Japan und seinem comicartigen Stil geht es über die Stunden andauernden Fachsimpeleien des englischen Fernsehens nach Italien, wo Ergebnisse mit attraktiven Damen garniert werden. (...)
3sat.de, 17. Mai 2006
Fußball ist unser Leben – und Fernsehen auch
Von Eduard Erne
Fußball ohne Fernsehen ist seit einem halben Jahrhundert nicht mehr vorstellbar. Hinter jeder scheinbar ganz einfachen Fußball-Übertragung steckt von Beginn an eine ganz andere, nicht minder große Story. Sie handelt davon, wie sich das Medium der weltweit beliebtesten Sportart, der Akteure und des Publikums bemächtigte. Die erste Ausstellung im neuen Berliner Fernsehmuseum widmet sich dieser Beziehungsgeschichte. Sie ist eine Zeitreise anhand von Monitoren und Dokumenten bis hin zu Hellmuth Costards Film über das Fußballwunder George Best.
Was beschreibt diese Ausstellung? Liebe, Lust, Leidenschaft? »Ob das eine Liebe ist? Oder ob es sich schlecht verträgt? Ich weiß es nicht«, sagt Kuratorin Petra Schlie. »Natürlich befruchtet es sich sehr stark. Der Fußball wäre nie so reich geworden ohne das Fernsehen. Am Anfang hatte man noch Angst bei den Vereinen, ob man es überhaupt übertragen soll, weil sie dachten, sonst kommt niemand mehr ins Stadion. Aber das hat sich nun wirklich nicht bewahrheitet.« (...)
Die Ausstellung bietet Vergleiche von unterschiedlicher Fernsehkultur, Dramaturgie und Inszenierung des Realen. Zum Beispiel ist ein Foul bei der WM 1962 zu sehen: Die Kamera bleibt distanziert, kein Schnitt, nur eine Wiederholung in Zeitlupe. 20 Jahre später ereignet sich eines der brutalsten Fouls in der Geschichte der Bundesliga: Die Kamera ist viel näher am Geschehen, zeigt die Details, die blutende klaffende Wunde. Ein dokumentarischer Blick, der den Schrecken zulässt. Aber eine Realität, wie sie nur der Fernsehzuschauer wahrnimmt. Nochmals zwölf Jahre später, ein Ausschnitt aus der Sendung RAN von Sat.1: Andy Möller lässt sich fallen. Es ist eine Schwalbe, kein Foul. Die Kamera zeigt jede Reaktion. Fast wie im Spielfilm löst sie das Geschehen auf. Das einzige, was noch fehlt, sind die Dialoge. (...)
Märkische Allgemeine – Westhavelländer, Potsdam, 3. Juni 2006
Kunst am Ball
Von Tim Ackermann
(...) Kunst allerdings kann erst entstehen, wenn sich die bewegten Bilder von den Konventionen des Fernseh-Fußballs lösen. Auch dafür gibt es ein Beispiel in der »Tor!«-Schau. Für seinen Film Fußball wie noch nie hielt der Regisseur Hellmuth Costard 1970 bei einem Spiel von Manchester United seine acht Kameras ausschließlich auf den Linksaußen George Best. Der Zuschauer kann den Stürmer-Star der 60er Jahre 100 Minuten lang beim Rumstehen, bei Kurzsprints und auch beim erfolgreichen Torschuss beobachten. Costards verengter, kommentarloser Blick ist ein gelungenes visuelles Experiment und sagt mehr über die Wirklichkeit auf dem Fußballplatz aus als jede Live-Übertragung.
Nebenbei bietet die »Tor!«-Ausstellung auch noch einen fernsehkritischen Eindruck vom chauvinistischen Ton früher Fußballberichterstattung. Auf einem Bildschirm kann man die Übertragung eines Frauenfußballmatches aus den 70er Jahren verfolgen – inklusive der herablassenden Bemerkungen von Kommentator Wim Thoelke: „Nun, meine Damen – Mann decken, nicht den Tisch decken.“
Süddeutsche Zeitung, München, 3. Juni 2006
Skat mit Stan Libuda
Die sechs besten Fußball-Ausstellungen zur WM
Von Alex Rühle
(...) „Tor! Fußball und Fernsehen" muss man schon alleine wegen der Szene im Sportstudio anschauen, in der Dieter Kürten 1969, Lichtjahre von unserer alerten Isch-sach-mal-Fernsehprofi-Zeit, mit Stan Libuda Skat spielt, weil der so schüchtern war, dass er sagte, er packt das Interview nur am Kartentisch. Hat aber auch nichts gebracht, Libuda nuschelt herzergreifend Stummelsätze in die eigene Schüchternheit hinein. (...)
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Juni 2006
Berlin ist rund
o.N.
(...) Das neue Fernsehmuseum der Hauptstadt – eröffnet mit der Ausstellung »Tor!« – zeigt, daß jedes Fußballtalent ein Recht auf mehr als fünf Minuten Ruhm hat. Man kann nicht entscheiden, ob das Fernsehen den Fußball zu dem gemacht hat, was er heute ist, oder ob der Fußball die Entwicklung des Fernsehens bestimmt hat. Hier jedenfalls ist die Beschleunigung der Bilderflut in den vergangenen Jahrzehnten nachvollziehbar und festzustellen, daß Uwe Seeler schon als junger Mann ohne viel Haare auskam und Günter Netzer schon immer eine lustige Matte trug.
Partner
Medienpartner:
rbb Inforadio