Der Oscar im Tresor

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1987 war für Heinz Rathsack ein besonders ereignisreiches Jahr. Als Leiter der Deutschen Kinemathek war er hauptverantwortlich für die Ausstellung »… Film … Stadt … Kino …Berlin« zur 750-Jahr-Feier der Stadt im teilzerstörten Hotel Esplanade, die bei Publikum und Presse großen Anklang fand, und zusammen mit Kolleg*innen stemmte er den Kongress der internationalen Filmarchive (FIAF) in Berlin. Zwei Tage vor seinem 63. Geburtstag wurde er zudem vom Land Berlin für seine Verdienste um die Filmausbildung und -forschung mit dem Titel Professor ehrenhalber ausgezeichnet.

Seit 21 Jahren leitete er zu diesem Zeitpunkt die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), zunächst gemeinsam mit Erwin Leiser, seit 1969 allein. Als die Deutsche Kinemathek 1971 in eine Stiftung des bürgerlichen Rechts umgewandelt wurde, übernahm er auch ihre Leitung – in Personalunion. Der 1924 geborene »holsteinische Dickschädel«, wie ihn mein Kollege Gero Gandert respektvoll nannte, war damit nach Gerhard Lamprecht (1962–1966) und Heinz R. Berg (1966–1970) der dritte Direktor der Kinemathek – bis zu seinem Tod am 12. Dezember 1989.

Heinz Rathsack war der ruhende Pol in einer politisch oft aufgeregten Zeit an der dffb und eine kluge fördernde Kraft für die Kinemathek. Beiden Häusern gab er entscheidende Impulse. Hans Helmut Prinzler, sein Nachfolger als Direktor der Kinemathek, formulierte es in seiner Trauerrede bei der Beisetzung Rathsacks so:

»Die Kinemathek hat er aus einem Schattendasein herausgeführt, indem er sie im Inneren verstärkt und gleichzeitig von außen wahrnehmbar gemacht hat: durch Retrospektiven, Publikationen, Ausstellungen … Als Leiter der Kinemathek und Direktor der Filmakademie verkörperte er eine Beziehung zwischen der Geschichte und der Zukunft des Mediums.«

Heinz Rathsacks Impulse reichen von seinen europäischen Vorstudien zu einer Filmausbildung in Deutschland über die Einführung einer Öffentlichkeitsarbeit an der Kinemathek bis zur Planung eines – dann nicht realisierten – Filmhauses im Hotel Esplanade an der ehemaligen innerdeutschen Mauer. Den Probelauf dafür stellte die erwähnte Ausstellung »… Film … Stadt … Kino …Berlin« dar, deren Katalog der Schauspieler Ilja Richter in der ›taz‹ als »phantastisch« feierte.

Und auch diese Anekdote gehört zu Heinz Rathsack: Als er 1987 zur Ausstellung im Esplanade den Fotografen stolz Emil Jannings’ Oscar von 1929, der ersten Oscar-Verleihung überhaupt, präsentieren wollte, befand sich dieses 1984 in die Kinemathek gekommene kostbare Exponat noch in einem Tresor, dessen Ziffernkombination einzig die zu dieser Zeit grippekranke Kollegin Christel Scherner kannte. Per Telefon wurde der Code eingeholt und so das gute Stück, heute eine Zierde in unserer ständigen Ausstellung, für die Öffentlichkeit ins Rampenlicht gebracht.

Autor

Rolf Aurich

wuchs mit Schulfilmen der 1940er- und 1950er-Jahre auf und ging während des Studiums täglich ins Kino, wo er sich alsbald als Kartenabreißer ein Zubrot verdiente. Die Herausgabe einer nichtkommerziellen Filmzeitschrift bildete die Grundlage für vieles, was später kam, auch für die Arbeit als wissenschaftlicher Redakteur an der Kinemathek.