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»Der ganze Ort hat eine große psychologische Wucht«

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Seit 2005 verwahrt die Deutsche Kinemathek das Archiv des Production Designers Uli Hanisch. Nach Drehschluss kommt stets neues Material ins Haus: Modelle, Entwürfe und Pläne, Farbkonzepte und Mood Boards. Unsere Kuratorin Kristina Jaspers durfte Uli Hanisch am Set von ›Die Tribute von Panem: The Ballad of Songbirds and Snakes‹ in Babelsberg besuchen. Aus Anlass der Übernahme der Materialien spricht sie mit ihm in diesem letzten Teil der dreiteiligen Interviewreihe für ArchiVistas über ästhetische und psychologische Konzepte.

Ihr habt ›Die Tribute von Panem: Ballad of Songbirds and Snakes‹ auch in Babelsberg gedreht. Das Apartment der Familie Snow entstand dort als aufwändiger Studiobau. Ich hatte ja das Glück, dass ich dich am Set besuchen durfte. Wofür steht diese Wohnung?

Das Apartment ist eine Art Vehikel. Es geht dem jungen Coriolanus Snow (Tom Blyth) eigentlich um nichts anderes, als diese verflixte Wohnung zu halten, damit seine Familie zu retten und ihren guten Namen zu wahren. Daran wird die gesamte Motivation dieser Figur festgemacht. Das hängt mit einem Repräsentationszwang zusammen, und bestimmt auch mit einer dominanten Vaterfigur. Der war sicherlich ein hoch unangenehmer Mann, sonst wird man nicht der federführende General eines faschistischen Landes.

Ich hatte die verrückte Idee, den Namen der Familie Snow aufzugreifen und die Wohnung vom Grundriss her wie eine Schneeflocke anzulegen, also mit einem sternenhaften Zentrum, von dem aus sich kristalline Formen nach außen weg bewegen. Das macht natürlich erst mal gar keinen Sinn, außer dass der Gedanke irgendwie reizvoll ist. Es entstand so eine Anti-Architektur, mit einem zentralen Raum, der allein der Repräsentation dient. Alle Wohn- und Lebensräume sind gar nicht richtig vorhanden und verstecken sich. Es gibt kein Leben und kein soziales Miteinander. Das macht psychologisch sehr deutlich, wie dysfunktional die ganze Familiensituation ist. Abgesehen davon, dass es natürlich sehr filmisch ist, weil Du dich da gut mit der Kamera bewegen kannst.

Wenn man auf den Grundriss schaut, fällt auf, dass es keine rechten Winkel gibt. Das ist ganz typisch für deine Arbeit. Was hat es damit auf sich?

Also, hier haben wir es ja im wahrsten Sinne auf die Spitze getrieben, indem wir die angrenzenden Räume in diesen kristallinen Rautenformen angelegt haben. Die wohnen also quasi in einer Speerspitze.

Der ganze Ort ist wahnsinnig widerspenstig und fast aggressiv durch die ganzen Ecken und Kanten und hat dadurch eine große psychologische Wucht. Letztlich folgt das der spezifischen Anforderung, den Traum oder Alptraum der Protagonisten zu erschaffen. Die Architektur zwängt sich buchstäblich auf und zwingt dich zu einer bestimmten Bewegung. Die Wirkung ist erdrückend.

Als zweites Element sind mir die Kreisformen aufgefallen, die sicher auch in der Arena ihren Ursprung haben. Im Control Room sitzen die Mentoren beispielsweise in einem Kreis. Soll das die Situation der Tribute spiegeln?

Wir beginnen eigentlich mit der Campus-Welt. Wenn man sich dort versammelt, dann geschieht das oft in Kreisform. Der Kreis steht für ein Miteinander, das entspricht der Idee vom runden Tisch, an dem alle gleichberechtigt zusammenkommen. Aber du kannst das auch als Ausdruck einer geschlossenen Gesellschaft sehen. Das »Wir« steht dann politisch für den Ausschluss von anderen, also für eine autoritäre Gesellschaft.

Bei der Gestaltung des Control Rooms haben wir uns bewusst an Fernsehklassikern orientiert, also an Quizshows wie ›Jeopardy‹. Wie bei einer Spielübertragung wird auf dem großen Monitor das eigentliche Geschehen gezeigt. Die kleineren Screens zeigen dann die Tribute, die ausfallen oder es werden Zusatzinformationen eingeblendet, wie der Punktestand oder die Spendenhöhe.

Das gesamte Design des Films ist unheimlich stark. Du kommst ja ursprünglich aus dem Grafikdesign und ich finde, das merkt man dem Film an. Ihr habt beispielsweise eine ganze Reihe neuer Logos und Fahnen entworfen. Welche Überlegungen gab es dazu?

Wir haben zum Beispiel die Figur der Panema erfunden, die jetzt auf den Fahnen des Capitols zu sehen ist. Das war zunächst eher als Scherz gemeint. Wir haben in den ersten Konzeptzeichnungen vom Strausberger Platz in den Brunnen eine große Statue reingestellt. Die war angelehnt an die Darstellung von Mütterchen Russland. Wir haben sie überarbeitet und dann wurde sie zu einer Art Karikatur der Freiheitsstatue. Das finde ich für ein jugendliches Publikum schon interessant. Stellt euch einfach mal vor, das Symbol eurer Nation ist nicht die Freiheitsstatue, eine Frau, die mit einem Text und einer Fackel am Hafen steht und alle willkommen heißt, sondern es ist die gleiche Person mit zwei Schwertern in der Hand, die sagt, ich mache euch alle kalt, wenn ihr uns zu nahekommt. Das ist ein irrer Unterschied ...

Hast du bei dem Film eigentlich mit demselben Team wie sonst gearbeitet?

Ja, ich konnte mein Team wie immer mitbringen. Es waren dann dieselben Leute dabei wie sonst: Also Kai Karla Koch, Thorsten Klein und Daniel Cour als Art Directors, Sabine Schaaf als Set-Decorator, Alexander Lambriev als Prop-Master, und natürlich alle anderen aus dem Art Department. Wir waren die gleichen wie immer, nur noch mehr (lacht). Das ist wirklich eine unglaublich gute Truppe! Ich denke manchmal, sie wissen gar nicht, wie unglaublich gut sie eigentlich sind.

Es handelt sich ja um ein Prequel und bis zur Erzählzeit von ›The Hunger Games‹ sind es noch über 60 Jahre. Da könntet ihr also noch einiges erzählen, oder?

Hm ja, ich meine, der Film hört ja so auf, dass man denkt, okay, wie geht es jetzt weiter (lacht)?

Kristina Jaspers

Die studierte Kunsthistorikerin und Philosophin beschäftigt sich nicht nur mit Filmgeschichte, sondern auch mit dem anhaltenden Science-Fiction-Boom. Als Kuratorin sorgte sie dafür, dass Storyboards museumsfähig und Frauen hinter der Kamera ins Scheinwerferlicht befördert wurden.