Genügsame „Big Mama“
Allgemeine Informationen
Neulich war Das Erste über Nacht umgezogen und hatte meinen Fernseher grußlos zurückgelassen. Wie sich erst später herausstellte, hatten sich auch noch ein paar Sender von den hinteren Rängen meiner Favoritenliste verabschiedet, aber wer vermisst schon Angebote, die er nie oder nur für ein paar Minuten im Jahr nutzt?
Ich bin ein Jahr jünger als das ZDF. Für meine Generation der 1960er Jahrgänge sind ARD und ZDF „das Fernsehen“. Dabei geht mehr um eine Gewohnheit als darum, dass diese Programme unersetzbar wären. Wenn etwas wirklich „Wichtiges“ passiert, erscheint in aller Regel postwendend ein Link oder ein Tweet auf mein Smartphone: Einer hat es immer mitgekriegt - das ist das Versprechen des Internets. Das Old Media Fernsehen flüstert etwas anderes, nicht weniger tröstliches: Du sieht es nie allein! Im letzten Jahre schauten im statistischen Durchschnitt alle Zuschauer im Alter ab 3 Jahren täglich 220 Minuten fern. Das sind mehr als drei Stunden, also jeden Tag einmal eine komplette Ausgabe von „Wetten, dass“.
Du siehst es nie allen!
Kein anderer Sender hat im Hinblick auf dieses Gemeinschaftsgefühl eine so lange Tradition wie die ARD. „Mauerbau … Mondlandung … Mauerfall…“ Mal zwischendurch gefragt: Wo waren Sie, als die World Trade Türme zusammenstürzten? Okay, und wissen Sie auch noch, auf welchem Kanal Sie das gesehen haben? Knapp 14 Millionen haben neulich „Wetten, dass“ eingeschaltet. Prompt riefen viele: Hurra! Das televisionäre Lagerfeuer ist zurück. Aber Hand aufs Herz: Haben Sie nur mal kurz reingeschaltet und wirklich von der Eurovisionsfanfare an die 221 Minuten komplett durchgehalten?
Die Fernbedienung hat das Fernsehen schon in den 1980er Jahren zu einem Jetztzeit-Medium gemacht, die These vom „Unterhaltungsslalom“ der Zuschauer stammt aus dieser Zeit. Schon als es nur drei Programme gab, zappte sich das Publikum aus dem vorhandenen Angebot einen eigenen Fernsehabend zusammen, der sich um ausgefeilte Programmkompositionen einzelner Sender nicht scherte. Wir suchten und suchen bis heute nach etwas Anspruchsvollem: nach dem perfekten Programm zu unserer aktuellen emotionalen Befindlichkeit.
Natürlich lässt sich auch bei YouTube oder mit der Watch-Funktion von Facebook zappen. Aber „Big Mama“ Fernsehen ist ein allzeit und endlos verfügbares Restzeitverwertungsmedium, das jedes emotionale Bedürfnisse auf Knopfdruck stillt.
In der Regel wird ja affirmativ geschaut, das Fernsehen soll das Sentiment verstärken, mit dem wir uns schon vor den Apparat gesetzt haben. Natürlich gibt es auch im Affektwarenhaus Fernsehen Verkaufsschlager und Ladenhüter. Es gibt millionenfach nachgefragte Standardgefühle, gut eingeführte Markenwaren wie den „Tatort“ oder eben „Wetten, dass“, und auch ein paar „Special Interest“-Güter wie „Titel, Thesen, Temperamente“ oder die „Corona Brennpunkte“, die nur von wenigen oder selten benötigt werden. Weil aber die Qualitätskriterien der Programmplanungen auf optimale Nutzungszahlen ausgerichtet sind, ordert der Wareneinkauf immer mehr Verkaufsschlager und sortiert diejenigen Angebote aus, welche die GfK als Ladenhüter klassifiziert. Damit verliert das ganze Kaufhaus langsam seine „Alles-unter-einem-Dach“-Bestimmung.
Natürlich lässt sich auch bei YouTube oder mit der Watch-Funktion von Facebook zappen. Aber „Big Mama“ Fernsehen ist ein allzeit und endlos verfügbares Restzeitverwertungsmedium, das jedes emotionale Bedürfnisse auf Knopfdruck stillt.
In der Regel wird ja affirmativ geschaut, das Fernsehen soll das Sentiment verstärken, mit dem wir uns schon vor den Apparat gesetzt haben. Natürlich gibt es auch im Affektwarenhaus Fernsehen Verkaufsschlager und Ladenhüter. Es gibt millionenfach nachgefragte Standardgefühle, gut eingeführte Markenwaren wie den „Tatort“ oder eben „Wetten, dass“, und auch ein paar „Special Interest“-Güter wie „Titel, Thesen, Temperamente“ oder die „Corona Brennpunkte“, die nur von wenigen oder selten benötigt werden. Weil aber die Qualitätskriterien der Programmplanungen auf optimale Nutzungszahlen ausgerichtet sind, ordert der Wareneinkauf immer mehr Verkaufsschlager und sortiert diejenigen Angebote aus, welche die GfK als Ladenhüter klassifiziert. Damit verliert das ganze Kaufhaus langsam seine „Alles-unter-einem-Dach“-Bestimmung.
Viel Enttäuschung im Spiel
Immer häufiger hat nun das zappende Publikum das Gefühl, ohnehin immer und überall das Gleiche zu sehen. Das Durchzappen bis zum 200. Programmplatz verliert damit endgültig seinen Sinn. Am Ende finden selbst die größten Fernsehfans „alles“ nicht mehr so spannend wie früher.
Die Ankündigung von der Rückkehr von „Wetten, dass“ war das Angebot einer kollektiven Regression: Noch einmal „Big Mama“, noch einmal Gefühle auf Knopfdruck, noch einmal mit allen anderen einig sein – nicht zuletzt in dem Geborgenheitsgefühl, dass es früher natürlich noch ein bisschen lustiger /spannender/ unterhaltsamer war. Sei‘s drum!
Bei Ereignissen von nationaler Tragweite, die von den Vollprogrammen parallel ausgestrahlt werden, hat „DAS ERSTE“ übrigens immer noch verlässlich höhere Einschaltquoten als die Konkurrenz, obwohl doch überall das gleiche zu sehen ist. Alles eine Frage der Gewohnheit. Wetten, dass?