»Wir suchen die Balance zwischen Einschüchterung und Verführung«
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Seit 2005 verwahrt die Deutsche Kinemathek das Archiv des Production Designers Uli Hanisch. Nach Drehschluss kommt stets neues Material ins Haus: Modelle, Entwürfe und Pläne, Farbkonzepte und Mood Boards. Unsere Kuratorin Kristina Jaspers durfte Uli Hanisch am Set von ›Die Tribute von Panem: The Ballad of Songbirds and Snakes‹ in Babelsberg besuchen. Aus Anlass der Übernahme der Materialien spricht sie mit ihm in diesem ersten Teil der dreiteiligen Interviewreihe für ArchiVistas über Production Design und Moral.
Hallo Uli, schön, dass Du Zeit für ein Gespräch hast!
Aber immer gerne!
Lass uns als erstes über die moralischen Fragen sprechen, die mit deinem Szenenbild verbunden sind. Die Filmreihe ›Die Tribute von Panem‹ spielt ja in einem totalitären Regime. Wie geht man als deutscher Production Designer an so ein Thema heran?
Dass die amerikanische Produktion einen deutschen Szenenbilder anfragt, fand ich interessant. Sie nahmen wohl an, ich komme mit einer ernsteren, »europäischen« Haltung und einem anderen Hintergrund in so ein Projekt rein und sage: »Okay, all das ist auch Teil meiner eigenen Familiengeschichte …«. Wir haben also zunächst mehrere faschistoide oder sonst wie stark autoritäre Systeme architektonisch miteinander verglichen: die Sowjetunion, den Faschismus Mussolinis, das sogenannte »Dritte Reich« und die aufstrebende, junge DDR. Die Architektur der Mussolini-Ära mit dem römischen Erbe war viel »eleganter« und dadurch verführerischer als die Architektursprache der Nazis. Hier findet sich eher bedrohlich Übergroßes. Die Sowjetunion zielte – von den avantgardistischen Anfängen mal abgesehen – deutlich mehr auf die Einschüchterung des Individuums durch das übermächtige System. Ich konnte aus dieser politischen und ästhetischen Betrachtung heraus resümieren: Wir suchen die Balance zwischen Einschüchterung und Verführung. Das entspricht eigentlich auch der Situation unseres Protagonisten Coriolanus Snow, er befindet sich selbst in diesem moralischen Konflikt zwischen Verführung und Bedrohung.
Erzählt wird ein Kapitel aus der Jugendzeit des späteren Präsidenten Coriolanus Snow. Damit wird auch motiviert, wie er zu diesem gnadenlosen und manipulativen Diktator wird …
Ja, wir haben uns gesagt: Der Roman erzählt ein bisschen die Flegeljahre von Adolf Hitler. Oder man könnte auch sagen, man kommt in so eine ›Hitlerjunge-Quex‹-Problematik rein … Also, es geht um Ambivalenzen und um die Frage, für welche Seite man sich entscheidet. Das fand ich wichtig, weil ich das als moralische Frage in unserer Zeit sehr relevant finde. Gerade für ein jugendliches Publikum ist das eine wichtige Agenda. Also: zu fragen: »Was wäre, wenn …? Wie würde ich mich verhalten?«
In welcher Zeit ist der Film angesiedelt?
Wir befinden uns fünfzehn Jahre nach der siegreichen Beendigung des Bürgerkriegs. In Panem gab es 70 Jahre nach der Staatsgründung eine Art Aufstand der zwölf Distrikte gegen die Hauptstadt. Das autoritäre System hat gewonnen, der Widerstand wurde niedergeschlagen. Jetzt kam uns der Gedanke, diesen Zustand mit unserer echten Geschichte zu vergleichen: also quasi Berlin 1945 plus 15 Jahre, da hast du den Osten und den Westen in den frühen Sechzigern … Die Ästhetiken dieser Systeme nebeneinander zu stellen, das fand ich sehr aufschlussreich. Ich wollte die repressive Architektur mit der Moderne mischen. Die 1950/60er-Jahre-Moderne spiegelt sich dann vor allem in der Einrichtung und in der Technik, also in Geräten, Fahrzeugen und so weiter. Während die Architektur noch selbstherrlicher, dazu auch konservativer ist. Die lässt sich bis in die 1920/30er-Jahre zurückführen. Diese krude Mischung hat für mich den inneren Konflikt des Protagonisten ganz gut abgebildet.
Das heißt, die Zeit des Krieges ist mental und in den Architekturen noch präsent, aber zugleich geht es los mit dem Wirtschaftswunder, und das zeigt sich vor allem im Interieur?
Ja, plötzlich in den Fünfzigern wurde ja alles klein und zart, beinahe infantil. Es gab auch neue, frische und farbenfrohe Werkstoffe. Ich denke, das war dem Wunsch geschuldet, nach vorne zu schauen, sich von der vergangenen Formensprache abzuheben, von den Schrecken der Erwachsenenwelt, auch von der Verantwortung. Die Möbel der 1950er sehen oft aus wie Puppenhausmöbel mit ihren Streichholzbeinchen. Und dass sie so aussehen, hat ja einen Grund. Das ist nicht einfach so aus Versehen passiert. Man kann es in unserem fiktiven Kontext unheimlich gut nutzen, weil wir das aus heutiger Sicht zurückblickend beurteilen und analysieren können. Wir haben dann eben angefangen, diesem eigentlich fröhlichen und zukunftsgläubigen Design der 1950/60er-Jahre die Frische zu entziehen, indem wir die Formen mit einer ganz anderen Farbigkeit, oder mit altmodischen Materialien verknüpfen, wie beispielsweise bei den Drohnen.
Diese Drohne war im Entwurf eine Mischung aus einem Staubsauger-Körper und einem Ventilator. Am Anfang haben wir eher an einen Helikopterkörper gedacht und haben mehrere davon irgendwie zusammengeschmolzen. Das sah aber total falsch aus und wir haben gemerkt, dass wir einfacher denken müssen. Das hat dann oft nur etwas mit Größe und den Dimensionen zu tun und löst sich ein, wenn wir die Ästhetiken und die Ideologien, die da drinstecken, miteinander verbinden.
Ich finde diese retrofuturistischen Kombinationen enorm erhellend, weil sie uns zeigen, wofür bestimmte Ästhetiken stehen und wie sie durch eine leichte Veränderung ideologisch uminterpretiert werden können!
Ja, genau.
Im nächsten Teil dieser Interviewreihe mit Uli Hanisch geht es um Locations in Berlin und anderwo in ›Die Tribute von Panem: Ballad of Songbirds and Snakes‹.