»Ein französischer Film, gedreht auf Deutsch«
Inhalt
›Pingpong‹ erzählt eine Sommergeschichte: Der 16-jährige Paul (Sebastian Urzendowsky) steht unangemeldet vor der Tür der Familie seines Onkels. Besonders herzlich aufgenommen wird er nicht. Seine Anwesenheit scheint wie ein Katalysator zu wirken, insbesondere die Spannungen zwischen Pauls Tante Anna (Marion Mitterhammer) und dem 16-jährigen Sohn Robert (Clemens Berg) werden zunehmend spürbar. Paul wird als Spielball benutzt, das Spiel geht zu weit, und als er nach einigen Tagen abreist, ist einiges kaputt gegangen ...
Der Film wurde vor etwa 18 Jahren im Sommer 2005 gedreht. Ich war damals als Herstellungsleiterin und Produzentin dabei und habe beim Schreiben dieses Textes schnell gemerkt, dass es mir unmöglich ist, eine objektive Haltung einzunehmen. Es wird im Folgenden also nicht um eine Analyse des Films oder eine filmhistorische Einordnung gehen (dazu ist das Werk auch viel zu frisch). Vielmehr habe ich mich dafür entschieden, ein paar Aspekte aufzugreifen, die ich ganz persönlich mit ›Pingpong‹ verbinde.
Meine Auswahl von ›Pingpong‹ für die Reihe Filmspotting geht auf meinen Wunsch zurück, den Blick auch auf die neuere deutsche Filmgeschichte zu lenken. Der Sammlungsbestand der Deutschen Kinemathek beschränkt sich nicht auf Werke und Objekte des 20. Jahrhunderts. Auch jüngere Filme müssen schließlich bewahrt werden, damit sie dauerhaft zugänglich bleiben. Die Digitalisierung hat nicht nur die Aufnahme- und Projektionstechnik verändert, sondern bringt auch neue Herausforderungen für die Archivierung mit sich: Von digitalen Produktionen müssen große Datenmengen erfasst, gespeichert und in Formaten vorgehalten werden, die mit der aktuellen Übertragungs- bzw. Projektionstechnik kompatibel sind.
Doch zurück zu meinen persönlichen Highlights zum Spielfilm ›Pingpong‹!
Drehort und Ausstattung
Der Bungalow, in dem die Familie des Onkels lebt, ein kleiner Garten drumherum – das ist der Schauplatz für dieses 4-Personen-Stück. Alles wurde am Originalmotiv in Ballenstedt, einer Kleinstadt im südlichen Sachsen-Anhalt, gedreht. Eine Verortung findet nicht statt. Dieses Haus könnte in Bonn oder Erfurt stehen, in Hamburg oder Potsdam. Die Ausstattung wirkt stimmig und dabei so klar, dass kaum Worte nötig sind, um die Lebensumstände der Familie zu erklären. Für mich macht die Genauigkeit der Details, die Konzentration auf diesen kleinen Kosmos ohne Bezug zur Außenwelt, eine wesentliche Qualität des Films aus. Die Geschichte erhält durch sie etwas Zeitloses, Universelles.
Das Wetter
Im Drehbuch war ›Pingpong‹ eine echte Sommergeschichte: Flirrende Hitze, vertrocknetes Gras, Sonnenbrand. Beim Dreh hat das Wetter dann nicht mitgespielt. Alles grau, Wind, rauschende Blätter, kaum Sonnenschein. Nur am Anfang und ganz am Schluss gibt es ein paar Sonnenstrahlen. Im fertigen Film funktioniert das, sehr gut sogar, so als wäre es genau so konzipiert gewesen.
Die Musik
Wenn ich mich richtig erinnere, war ›Pingpong‹ der erste lange Spielfilm, für den Matthias Petsche die Filmmusik komponiert hat. Ich kann mir keine bessere Musik für unseren Film vorstellen. Sie unterstützt Spannungsaufbau und Inszenierung sehr elegant. Besonders gut gefällt mir, wie das Klackern des Tischtennisballs in das Leitmotiv eingebaut ist. Und der Abspannsong. Matthias Luthardt hatte den französischen Künstler Chet gefragt, ob er einen Song beisteuern würde. Chet hat sich eine Schnittfassung des Films angeschaut, zur Musik von Matthias Petsche getextet und seinen Sprechgesang aufgenommen. Beim Abspann hilft der Song ungemein, als Nachklang der Geschichte und zur Überwindung der Sprachlosigkeit.
Mit einem Abschlussfilm nach Cannes
›Pingpong‹ entstand 2005 als Abschlussfilm der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf (heute Filmuniversität Konrad Wolf). Matthias Luthardt als Co-Autor und Regisseur, Christian Marohl (Kamera), Friederike Hagen (Szenenbild), Florian Miosge (Montage), Matthias Petsche (Komposition), Niklas Bäumer (Produzent) und noch viele weitere Teammitglieder waren Studierende oder »frische« Absolvent*innen der Babelsberger Filmhochschule. Mit weniger als 600.000 Euro Budget ist ›Pingpong‹ ein glückliches Paradebeispiel für die Übergangsphase vom geschützten Raum der Ausbildung ins echte Filmbusiness. Der erste Langspielfilm! Das kleine Budget und fehlende Erfahrung wurden durch Teamspirit, Mut, Begeisterung und großes Engagement der Beteiligten wettgemacht.
Dass ›Pingpong‹ dann zu den Filmfestspielen nach Cannes eingeladen wurde, in der Reihe »Semaine de la Critique« seine Premiere hatte und mit gleich drei Preisen ausgezeichnet wurde, war eine ordentliche Belohnung und eine unvergessliche Erfahrung.
Die Regiearbeit von Matthias Luthardt
In Cannes wurde ›Pingpong‹ begeistert aufgenommen als »französischer Film, gedreht auf Deutsch« (Hollywood Reporter) und Matthias Luthardt zum »diesjährigen Lieblingsdeutschen der französischen Kritiker in Cannes« gekürt (Tobias Kniebe, Süddeutsche Zeitung). Eine Affinität zum französischen Kino ist in den Arbeiten von Matthias Luthardt tatsächlich unverkennbar – sein Kinofilm ›Luise‹ (D 2023) ist eine deutsch-französische Koproduktion – und aus meiner Sicht viel naheliegender als die Einordnung in die sogenannte Berliner Schule, die in der Presse zu ›Pingpong‹ auch wiederholt erfolgte.
Doch was macht den französischen Touch aus? Auf seiner Website beschreibt Matthias Luthardt seinen persönlichen Anspruch so: »Die Welt sehen, durchdringen, befragen, hinterfragen. Stimmungen einfangen, genau beobachten, das Nichtgesagte spürbar machen. Darin sehe ich meine Aufgabe als Filmemacher.« Das ist nun noch nicht französisch – und könnte auch für einen Regisseur der Berliner Schule Anspruch sein. Ich würde »Stimmungen einfangen« und »spürbar machen« unterstreichen. Das ist Matthias Luthardt in seinem Erstling ›Pingpong‹ überaus gut gelungen.
Anke Hartwig zeigt ›Pingpong‹ am 18. Dezember 2023 im Kino Arsenal. Tickets und weitere Informationen hier.