Berlinale Classics 2023
Restaurierte Filmklassiker und Wiederentdeckungen auf der großen Leinwand!
Die Filme der Berlinale Classics
-
Tickets
Auf der Berlinale-Website
Die Berlinale Classics präsentieren 2023 acht Premieren restaurierter Filme in digitaler Fassung
Guess Who’s Coming to Dinner
(›Rat mal, wer zum Essen kommt‹), USA 1967, Regie: Stanley Kramer
Als Joanne Drayton ihren Eltern den Mann vorstellt, den sie heiraten will, sind diese wenig erfreut. Ihr Verlobter, Dr. John Prentice, ist zwar angesehener Arzt, aber auch Afroamerikaner. Da er die Ehe nur eingehen will, wenn die Draytons noch am selben Tag ihr Einverständnis geben, fühlt sich Mr. Drayton unter Druck gesetzt. Der liberale Journalist sieht Probleme auf das Paar zukommen, die er seiner Tochter ersparen möchte. Seine Frau hingegen ist von Joeys Liebe eingenommen. Im Verlauf des Tages, an dessen Ende die Eltern von Dr. Prentice zum Abendessen erwartet werden, tauscht das Ehepaar Argumente für und wider die Heirat aus … ›Rat mal, wer zum Essen kommt‹ schrieb Filmgeschichte mit dem ersten Leinwandkuss zwischen einem Schwarzen Schauspieler und einer weißen Darstellerin. 1967, als die Öffentlichkeit noch heftig um »Mischehenverbote« stritt, war dieses Anliegen so dringend wie mutig. Sidney Poitier festigte seinen Status als Schwarzer Hollywoodstar dadurch weiter. Berühmt und berührend macht den Film zudem das emphatische Schlussplädoyer des »alten weißen Mannes« Spencer Tracy, der zwei Wochen nach Drehschluss starb. Weltpremiere der digital restaurierten Fassung.
Mapantsula
ZA/AUS/UK 1988, Regie: Oliver Schmitz
Südafrika während der Apartheid. Bei einer Demonstration in Soweto wird neben Aktivisten auch Panic, ein »Mapantsula« (Ganove), festgenommen. Während ein Polizist ihn zu belastenden Aussagen zwingen will, schildern Rückblenden Panics Verwicklung in die »Riots« im Township. Ausschließlich an Partys, Alkohol und seiner Freundin Pat interessiert, hält er sich von den Protesten gegen Mietwucher fern. Doch dann verlässt ihn Pat, die seinetwegen ihre Arbeit als Hausmädchen verliert, und der Sohn seiner Vermieterin wird von Polizisten verschleppt … Nur dank Einreichung eines »entschärften« Drehbuchs konnte ›Mapantsula‹ während des 1985 verhängten Ausnahmezustands entstehen. Der Widerstand gegen ihn war auf einem Höhepunkt, als der Film seine Uraufführung erlebte und umgehend verboten wurde. Im Rahmen einer nüchternen Krimi-Handlung erzählt er von Rassismus und alltäglichem Widerstand. Damit wurde er – so die Zeitzeugin und Filmhistorikerin Jacqueline Maingard – Auslöser für eine »euphorische Anspannung in der kleinen Zuschauerschaft, die bei dem zugegen war, was sich wie der erste aufrichtige Film Südafrikas anfühlte«. Weltpremiere der digital restaurierten Fassung.
Naked Lunch
UK/CA 1991, Regie: David Cronenberg
New York, 1953. Der Schriftsteller Bill Lee arbeitet als Kammerjäger, wobei die Einnahme eines Insektenvertilgungsmittels seine Wahrnehmung erheblich verzerrt. Nachdem er im Drogenrausch versehentlich seine Frau erschossen hat, flüchtet er nach Interzone, einen Tummelplatz schillernder Existenzen an der marokkanischen Küste. Als Geheimagent des Arztes Dr. Benway verfasst er dort Berichte über einen Drogenring um ein US-Schriftstellerpaar, die sich zum Roman ›Naked Lunch‹ auswachsen, während die Protagonisten beliebig ihre Identitäten wechseln und Schreibmaschinen sich in aggressive Insekten verwandeln … »Vertilge jeglichen vernünftigen Gedanken!« An den Ratschlag von Bill Lee, dem Alter Ego William Burroughs’, hat sich David Cronenberg bei seiner Adaption eines als unverfilmbar geltenden Romans strikt gehalten. In einem surrealistischen Puzzle voller Monstren und Mutationen, Body-Horror und literarischen Anspielungen auf die Beat Generation entpuppt sich das Leinwandgeschehen als pures filmisches Amalgam, in dem Realität, Rauscherfahrung und literarische Fantasie unmerklich ineinander übergehen. »Nichts ist wahr. Alles ist erlaubt.« Weltpremiere der digital restaurierten Fassung.
Romeo und Julia auf dem Dorfe
CH 1941, Regie: Valerien Schmidely und Hans Trommer
Die Schweizer Bauernkinder Vreneli und Sali sind eng befreundet. Doch sie werden getrennt, nachdem die widerrechtliche Aneignung eines benachbarten Ackers ihre Väter zu unversöhnlichen Feinden gemacht hat. Erst als diese sich in einem langen Rechtsstreit ruiniert haben, kommen die beiden jungen Leute, nunmehr als Verliebte, wieder zusammen. Dies führt zum Streit mit Vrenelis Vater, den Sali im Affekt niederschlägt und zum Pflegefall macht. Die Tat legt sich als dunkler Schatten auf die frisch erblühte Liebe … In der Verfilmung der Novelle von Gottfried Keller verbindet sich das Naturschöne der Schweizer Landschaft mit dem Kunstschönen einer geradezu lyrischen Schwarzweißfotografie. In Schweizerdeutsch gedreht, steht ›Romeo und Julia auf dem Dorfe‹ ganz in der Tradition des Poetischen Realismus, doch verleihen die unheilvollen Auftritte eines »Schwarzen Geigers«, zumal der von ihm angeführte nächtliche Hochzeitstanz in den Tod, den tragischen Geschehnissen auch eine schaurige Note. Oftmals gekürzt, liegt der »schönste, echteste aller Schweizer Filme« (Freddy Buache) nun wieder in der Originallänge und mit der originalen Tonspur vor. Weltpremiere der digital rekonstruierten Fassung.
Sogni d’oro
(›Goldene Träume‹), I 1981, Regie: Nanni Moretti
Als der Regisseur Michele Apicella sein jüngstes Werk in Filmclubs, Hörsälen, Kinos und sogar einem Nonnenkonvent präsentiert, schlägt ihm viel Kritik entgegen. Vor allem, weil er nicht die Interessen der Bauern, Hausfrauen und Arbeiter vertritt. Ziemlich katastrophal verlaufen auch die Dreharbeiten zu seinem nächsten Film. Hauptfigur in »La mamma di Freud« ist ein Widergänger des Analytikers, der wie der Regisseur selbst in symbiotischer Hassliebe mit seiner Mutter zusammenlebt. Zudem hat sich Michele eines Konkurrenten zu erwehren, der ein Musical über 1968 dreht. Als beide in einer TV-Spielshow ihre Kräfte messen, nimmt dies albtraumhafte Züge an. Genau wie Micheles Wiederbegegnung mit einer womöglich nur imaginierten Geliebten … Woody Allens Stadtneurotiker ist ein Ausbund an Normalität im Vergleich zu dem cineastischen Narzissten, dem Nanni Moretti in fünf autobiografisch getönten Komödien Gestalt und Gestus verleiht. ›Goldene Träume‹ – vielfach gelobt als selbstreflexive Satire über das Filmgeschäft, in der die Ticks und Neurosen der Filmschaffenden zum eigentlichen Spektakel erhoben werden – erhielt 1981 einen Silbernen Löwen. Weltpremiere der digital restaurierten Fassung.
Szürkület
(›Twilight‹), HU 1990, Regie: György Fehér
In einem abgelegenen Bergwald wurde ein kleines Mädchen missbraucht und ermordet. Ein vorbestrafter Hausierer gilt als tatverdächtig, doch der ermittelnde Inspektor glaubt nicht an dessen Schuld. Da stößt er auf eine Zeichnung des toten Mädchens, die einen schwarzen »Riesen« und sein Auto zeigt und den Täter abbilden könnte. In der Hoffnung, ihn anlocken zu können, quartiert der Inspektor eine Mutter und deren kleine Tochter als »Köder« in einer verlassenen Tankstelle ein … So karg wie die Natur ist auch diese Inszenierung des mehrfach verfilmten Kriminalstoffs von Friedrich Dürrenmatt. György Fehér adaptierte ihn für seinen faszinierenden Schwarzweißfilm, der einen Ermittler in einer moralischen Grauzone zeigt, in rund 50 Einstellungen mit ausgeklügelten Fahrten und Schwenks. Wie in den Arbeiten des Ungarn Béla Tarr (der am Film als Berater beteiligt war) bewirkt Fehérs Erzählweise eine Dehnung der Zeit. Sie macht das ausdauernde Warten des Inspektors, das sich über mehrere Jahreszeiten erstreckt, nachvollziehbar, ehe der Film mit einem alternativen Schluss überrascht. Weltpremiere der digital restaurierten Fassung.
A Woman of Paris
(›A Woman of Paris – die Nächte einer schönen Frau‹), USA 1923, Regie: Charles Chaplin
Zwei Liebende haben beschlossen, vor den Eltern nach Paris zu fliehen. Aber dann hält ein Schicksalsschlag Jean zurück. Marie ist ein Jahr später eine glänzende Pariser Erscheinung – und die Mätresse des reichsten Junggesellen der Stadt. Das soll sie auch bleiben, als dieser sich standesgemäß verlobt. Marie aber sehnt sich nach einer eigenen Familie. Als sie Jean wieder trifft, der inzwischen als Maler im Quartier Latin lebt, nimmt sie seinen Antrag an. Doch gegenüber seiner Mutter verleugnet Jean seine Liebe, woraufhin Marie ihn verlässt. Jean reagiert verzweifelt … Über ein Jahr arbeitete Chaplin an seinem Regiedebüt für das von ihm mitgegründete United-Artists-Studio – in dem er nur einen Kurzauftritt als Gepäckträger hat. Mit einem wachen Auge für die Beladenen und Bediensteten inszeniert, beeindruckt sein elegantes Gesellschaftsdrama durch das sachliche Spiel aller Mitwirkenden. Es begeisterte die Presse und faszinierte Lubitsch, erwies sich aber als Flop an der Kasse. Nach Zensureingriffen in der US-Provinz zog Chaplin den Film bis in die 1970er zurück. Weltpremiere der digital restaurierten Fassung mit einer neuen Begleitmusik nach Kompositionen von Charles Chaplin.
Yoru no kawa
(›Undercurrent‹), J 1956, Regie: Kōzaburō Yoshimura
Kiwa Funaki ist eine unabhängige und erfolgreiche Frau. Sie entwirft Designs für Kimonos und Krawatten, die sie von Kyoto aus bis nach Tokio selbst vertreibt. Ihr Vater, der ihre Stoffe in der eigenen Manufaktur färbt, sähe Kiwa gern verheiratet. Doch sie wehrt alle Anträge von Verehrern, darunter ein junger Künstler und ein aufdringlicher Geschäftspartner, konsequent ab. Dann aber lernt Kiwa einen Wissenschaftler aus Osaka kennen, von dem sie weiß, dass er verheiratet ist. Trotzdem beginnt sie eine Liebesaffäre mit ihm. Als seine Frau stirbt, reagiert sie unerwartet … In kräftigen Farben gibt Yoru no kawa die textilen Kunstwerke Kiwas wieder, deren Muster sich an Vorlagen aus der Natur orientieren. Und so unkonventionell und modern wie die Entwürfe seiner Protagonistin ist auch das »Design for Living«, das Regisseur Kōzaburō Yoshimura an ihrem Beispiel demonstriert. Dabei rückt er in seinem ganz unsentimentalen Melodram, seinem ersten Farbfilm, den wachsenden Einfluss westlicher Waren und Werte in der japanischen Nachkriegsgesellschaft ebenso ins Bild wie die traditionsgebundenen Formalien des Zwischenmenschlichen. Weltpremiere der digital restaurierten Fassung.