Berlinale Classics 2017
Die Berlinale Classics bringen im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin digital restaurierte Filmklassiker und Wiederentdeckungen zurück auf die große Leinwand.
Classics 2017
Annie Hall
(›Der Stadtneurotiker‹), USA 1977, Regie: Woody Allen
Alvy Singer, New Yorker Komiker jüdischer Herkunft und seit 15 Jahren Dauergast auf der Psychiatercouch, lässt seine Beziehung mit der Sängerin Annie Hall Revue passieren. Rückblenden offenbaren seine als traumatisch empfundene Kindheit – kein Wunder, dass aus dem hochbegabten und frühreifen Kind nach einer Laufbahn als besserer Pausenclown und zwei gescheiterten Ehen ein Mann in der Midlife-Crisis geworden ist. In der »polymorph perversen« Annie Hall findet er einen charmant-verkorksten Widerpart. Schade nur, dass die cineastischen, kulinarischen, literarischen, erotischen und sozialen Bedürfnisse der beiden immer öfter divergieren … In locker gefügten Szenen voller Gags und Pointen schuf Woody Allen mit seiner Partnerin Diane Keaton ein vermeintliches Selbstporträt, in dem sich das gebildete Kinopublikum überall auf der Welt wiedererkennen konnte. Mit seinen modernen Verfremdungseffekten wie Split-Screen-Szenen, Einspielern aus TV-Shows und Comic-Strips ist der Film auch formal ein Brillantfeuerwerk. Vier Oscars konnte ›Annie Hall‹ ergattern. Nur als Schauspieler ging Woody, der Unglücksrabe, leer aus. – Weltpremiere der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 4K DCP.
Avanti Popolo
Israel 1986, Regie: Rafi Bukaee
Der Sinai im Juni 1967: Das Ende des Sechstagekriegs ist abzusehen. Zwei ägyptische Soldaten entledigen sich ihrer Waffen und machen sich auf den Weg Richtung Heimat. Auf ihrer Odyssee durch die Wüste begegnen sie israelischen Patrouillen, einem toten Blauhelm-Soldaten mit beträchtlichem Whiskey-Vorrat und einem britischen Sensationsreporter. Als israelische Soldaten sich weigern, sie in Kriegsgefangenschaft zu nehmen, verbrüdern sie sich mit den »Feinden« und stehen ihnen sogar bei, als deren Weg in ein Minenfeld führt … In vermintes Gelände wagte sich auch Rafi Bukaee (1957–2003). Seine schwarze Tragikomödie über die Absurdität des Krieges war der erste israelische Film, in dem Araber von arabischen Schauspielern dargestellt wurden. Für Kontroversen sorgte auch die Tatsache, dass einer der Ägypter an das Mitleid der Israelis appelliert, indem er Shylocks Monolog aus Shakespeares »Der Kaufmann von Venedig« rezitiert: »Ich bin ein Jude. Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht?« Inzwischen wird ›Avanti popolo‹ längst zu den bedeutendsten und populärsten Filmen der israelischen Filmgeschichte gerechnet. – Internationale Premiere der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 2K DCP.
Canoa
(›Hetzjagd in Canoa‹), Mexiko 1976, Regie: Felipe Cazals
Mexiko 1968. In der Hauptstadt rebellieren die Studenten, auch an der Benemérita Universidad Autónoma in Puebla rumort es. Als fünf junge Angestellte der Universität zu einer Bergtour aufbrechen, werden sie im nahen San Miguel Canoa von einem Gewitter überrascht. In der Kleinstadt hat ein fanatischer Priester das Sagen; schon lange predigt er gegen »kommunistische Aufwiegler«. Als die jungen Männer bei einem seiner Kritiker Schutz vor dem Unwetter finden, führen seine Hetzreden zum Pogrom … Eine Chronik angekündigter Tode: Fiktive Interviews in der Art eines Kulturfilms stehen an ihrem Anfang, und tatsächlich bereiten sie auf die Darstellung realer Ereignisse vor. Denn den Hassprediger von Canoa und die von ihm herbeigeführte religiöse Hysterie, die sich hier in einer Orgie der Gewalt entlädt, hat es wirklich gegeben. Ihre minutiöse Rekonstruktion und hochdramatische Verdichtung machen den gleichermaßen realistischen wie aufwühlenden Thriller von Felipe Cazals zu einem Meisterwerk des mexikanischen Kinos. Bei der Berlinale 1976 wurde ›Canoa‹ mit dem Silbernen Bären (Spezialpreis der Jury) ausgezeichnet. – Weltpremiere der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 2K DCP.
Maurice
GB 1987, Regie: James Ivory
Cambridge, King’s College, 1909. Die Kommilitonen Maurice Hall und Clive Durham empfinden füreinander mehr als nur Sympathie. Doch sexuelle Kontakte und gar die »unaussprechliche Sünde der Griechen«, von der sie im Platon-Seminar erfahren, bleiben ein Tabu. Aus Furcht vor gesellschaftlicher Ächtung, wie sie einem Studienkollegen widerfährt, halten sie ihre Liebe geheim. Später, nachdem Clive standesgemäß geheiratet hat, verbindet sie eine rein platonische Freundschaft. Als Maurice ein Verhältnis mit dem Wildhüter der Durhams beginnt, scheint er sein Lebensglück zu finden … Nach ihrem Oscar-gekrönten ›A Room with a View‹ (1985) verfilmten James Ivory und sein Partner Ismail Merchant ein weiteres Werk von E. M. Forster, das – 1913/14 geschrieben – erst nach dessen Tod 1970 erscheinen konnte. Sensibel und in melancholischen Tönen erzählt der Film von der Trauer um eine unmögliche Liebe. In der detailgenauen Ausstattung den Edwardianischen Zeitgeist präzise erfassend, offenbaren die erlesenen Bildkompositionen zugleich die geistige Enge einer Gesellschaft, in der Prüderie und Heuchelei regieren. – Welterstaufführung der digital restaurierten Fassung im Vorführformat 4K DCP.
Night of the Living Dead
(›Die Nacht der lebenden Toten‹), USA 1968, Regie: George A. Romero
Bei einem Friedhofsbesuch werden die Geschwister Barbra und Johnny von einem ungelenken Unbekannten attackiert. Johnny kommt zu Tode, Barbra flüchtet sich in ein Farmhaus, wo sie prompt auf eine Leiche stößt. Während sie vergeblich nach Hilfe telefoniert, sammelt sich draußen eine ganze Horde dumpfer Aggressoren. Der Afroamerikaner Ben, der gleichfalls im Haus Schutz sucht, berichtet von Attacken überall im Land. Nachdem er Fenster und Türen vernagelt hat, machen sich im Keller weitere Überlebende bemerkbar. Karen, ein junges Mädchen, wurde von einem der »lebenden Toten« gebissen und ist nun krank … »Sie kommen und holen dich, Barbra!« George A. Romeros radikale Independent-Produktion erzählte 1968 drastisch von Krieg und Rassismus. Zugleich etablierte sie den Zombie als unauslöschliche Denkfigur in Wissenschaft und Popkultur. Romeros Horror-Klassiker, der 1970 Aufnahme in die Sammlung des Museum of Modern Art fand, kursiert in zahlreichen Versionen. Unter Verwendung des Originalnegativs wurde er nun in der ursprünglichen Schnittfassung restauriert. – Internationale Premiere der digital restaurierten Fassung, im Vorführformat 4K DCP.
Schwarzer Kies
BRD 1961, Regie: Helmut Käutner
1960. Eine US-Militärflugbasis im Hunsrück verführt zu Schwarzhandel und Prostitution. Auch Robert Neidhardt, der die Amerikaner mit Kies für den Bau einer Startbahn beliefert, benutzt seinen Lastwagen für illegale Geschäfte. Auf einer Tour überfährt er versehentlich einen amerikanischen Soldaten und dessen Freundin … Der betont (neo-)realistisch inszenierte Thriller zeichnete ein kritisches Zeitbild der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft. Helmut Käutners Absicht, »die Gefahr neo-nazistischer und antisemitischer Strömungen« aufzuzeigen, stieß auf eine durch den Eichmann-Prozess sensibilisierte Öffentlichkeit. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland erstattete Anzeige wegen Beleidigung des jüdischen Volkes. Szenen mit jüdischem Bezug wurden daraufhin von Käutner ebenso entfernt wie der »ursprüngliche Schluss, bei dem Neidhardt sich neben die Leiche seiner toten Ex-Geliebten Inge Gaines legt und vom Kies begraben lässt. In der bearbeiteten Fassung bleibt Inge am Leben und bei ihrem Mann, während Robert panikartig nach Luxemburg flüchtet« (Jeanpaul Goergen, 2011). – Welterstaufführung der digitalen Fassung im Vorführformat 2K DCP.
Terminator 2: Judgment Day 3D
(›Terminator 2 – Tag der Abrechnung 3D‹), USA 1991/2017, Regie: James Cameron
2029 ist die atomare Apokalypse Vergangenheit. Auf der Erde kämpfen die Menschen gegen übermächtige Maschinen. Um den Rebellenanführer John Connor frühzeitig zu eliminieren, schicken die Maschinen den Androiden »Terminator« T-1000 zurück ins 20. Jahrhundert. Sein Auftrag: Connor schon als Zehnjährigen zu töten. Die Widerstandsbewegung wiederum entsendet zu dessen Schutz einen T-800. Gemeinsam mit John und dessen Mutter versucht der Android, die technologische Entwicklung, die das Supremat der Maschinen begründet, zu stoppen, indem sie die Arbeiten des ursprünglichen Software-Entwicklers zerstören. Auf der anschließenden Flucht vor dem T-1000 und der Polizei kommt es zu einer beachtlichen Vielzahl weiterer destruktiver Gewalthandlungen … »T2« war mit seinen Morphing-Effekten nicht nur tricktechnisch avanciert. Mit seiner ironischen Haltung zur Vermenschlichung eines Androiden, der Demonstration aktueller digitaler Applikationen und einem »hippen« Heavy-Metal-Soundtrack konnte der bis dahin teuerste Hollywood-Blockbuster neben enormen Einspielsummen auch popkulturelles Kapital akkumulieren. – Weltpremiere der digital restaurierten Fassung im 3D-Vorführformat 2K DCP.